Engels beschreibt in „Ludwig Feuerbach und der Ausgang der klassischen deutschen Philosophie“, wie bekannt, die Grundfrage der Philosophie und ihre Antworten.1 Diese Deskription schöpft aus einem sehr sicheren Wissensbestand, einem existenten, nämlich der „neueren Philosophie“, den sie kritisch kommentiert; also den Idealismus seit Descartes, den mechanischen Materialismus vornehmlich des 18. Jahrhunderts und den anthropologischen Materialismus Feuerbachs. Sie verlässt die Vorgabe der „neueren Philosophie“ nicht, sondern formuliert beide Antworten, die idealistische und die materialistische, sofern beide unter der Herrschaft des Identitätsgebots von Sein und Denken ausgedrückt und auch unter diesem Szepter entstanden sind. Beide resultieren, als Identitätsphilosophien, aus dem abstrakten Gegensatz von Sein und Denken, welcher an sich schon ihre Identität ebenso ein- wie ausschließt; hier zunächst äußerlich als Disput der Schulen.
In der sozusagen älteren Philosophie hingegen ist Sein an das ens realissimum gebunden, und das Denken an dessen Gradationen, die es sehr wohl abbildet, und die es abbilden kann, da es sich immer um species handelt, die – realistisch oder nominalistisch – schon selbst denkförmig seiend sind. Das Verhältnis von Denken und Sein ist dadurch determiniert; und zwar ist das Denken seinsabhängig auf den Titel der göttlich verankerten Seinspyramide.
Die Formulierung der Grundfrage der Philosophie als Frage nach dem Verhältnis von Denken und Sein (ontologisch) oder von Denken zum Sein (erkenntnistheoretisch) transportiert die Erbschaft der „neueren Philosophie“ und damit deren Aporien, darunter den berühmten erkenntnistheoretischen Zirkel, in dem sich Idealismus ebenso wie nichtdialektischer Materialismus herumwerfen; sie zahlt weiter ohne Not Zins auf die Hypotheken „cogito“ und „transzendentale Apperzeption“, obwohl schon Hegel diese Grundschuld getilgt hat – durch weit umfassendere Kreditaufnahme freilich.2 Engels seinerseits zieht in seiner gesamten „Dialektik der Natur“ darunter den Schlussstrich.
Die Pole des in der Grundfrage nach beiden Seiten befragten Verhältnisses wurden und werden im dialektischen Materialismus mit großer Beliebigkeit eher benannt als bestimmt. „Denken und Sein“, „Sein und Bewusstsein“, „Materie und Bewusstsein“ usw. werden arbiträr verwendet, selbstverständlich hingenommen, jedoch nicht in sich und in ihrem Verhältnis zueinander begründet.3 Im Folgenden wird der Versuch gemacht zu zeigen, dass vom Begriffspaar „Materielles und Ideelles“, Marx folgend, auszugehen ist.
Für Hegel ist der Denkprozess, den er sogar unter dem Namen Idee in ein selbständiges Subjekt verwandelt, der Demiurg des Wirklichen, das nur seine äußere Erscheinung bildet. Bei mir ist umgekehrt das Ideelle nichts andres als das im Menschenkopf umgesetzte und übersetzte Materielle.4
Hiermit sind beide Seiten der Grundfrage umfasst, die letztlich gar nicht auseinandertreten.
Erstens: Es ist überhaupt kein Ideelles außer dem „umgesetzten und übersetzten“ Materiellen. Das ist eine Aussage über das Seinsverhältnis zwischen Ideellem und Materiellem. Da nur das Subjekt „umsetzt und übersetzt“, der materielle Mensch mit seinem ideell tätigen Kopf nämlich, existiert kein Ideelles außerhalb seines Kopfes; alles außerhalb dieses Kopfes, natürlich seiner „umsetzenden und übersetzenden“ Funktion nach, nicht des materiellen Inhalts nach, der berühmten „grauen Zellen“, ist materiell. Zweitens: Das Ideelle existiert nur als „umgesetztes und übersetztes“ Materielles im Vollzug dieser „Umsetzung und Übersetzung“, und als dieser Vollzug ebenso wie als sein Resultat, also als ideelle, im weitesten Sinne erkennende Tätigkeit. (Willensmäßige Bildungen, ethische impetus usw. sind abgeleitet, da sie die Erkenntnisbeziehung in ihrer Doppeltheit voraussetzen. Zum Beispiel ohne Klassenbewusstsein, erkenntnisfundiert, keine umfassende, d. h. revolutionäre Klassenaktion.) Folglich ist die „andre“, die erkenntnistheoretische Seite der Grundfrage, was das Ideelle sei, von der ersteren Seite, dass es überhaupt ist, was es dann ist, nicht zu trennen. Erkenntnistheorie als Theorie des Ideellen überhaupt erschöpft ontologisch das Ideelle. Es bleibt nichts weiter übrig; zusätzlich oder außerhalb, ihr etwa vorgeordnet, gibt es vor oder neben der Erkenntnistheorie, die jene „Umsetzung und Übersetzung“ untersucht, überhaupt keine Theorie des Ideellen. Daraus folgt die Unsinnigkeit, in Bezug auf das Verhältnis von Materiellem und Ideellem, von „Denken und Sein“, eine irgendwie nicht erkenntnistheoretisch sein sollende Betrachtung anzustellen, da die allgemeinen Voraussetzungen dieses Verhältnisses im Faktum des Menschenkopfes, „empirisch konstatierbar“, gegeben sind. Erkenntnistheorie untersucht die „Umsetzung und Übersetzung“ und ihre allgemeinen Bedingungen allgemein, darin eben auch die allgemeinen Bedingungen des Menschenkopfs, d. h. der ideellen Funktionen des gesellschaftlichen Subjekts.5
Durch die Konzeption der „Umsetzung und Übersetzung“ kann die „tätige Seite“ im Materialismus entwickelt werden, die eine Domäne des Idealismus war, und mit deren Entwicklung er sich seine Verdienste erworben hat.6 Und damit kann das passivistische Missverständnis von Widerspiegelung aus dem dialektischen Materialismus verschwinden. Und ferner rückt damit die Frage der „Umsetzung und Übersetzung“ als ideelle Tätigkeit, materiell bedingt, ins Zentrum einer dialektisch-materialistischen Erkenntnistheorie, die auf diese Weise aus der so formulierten materialistischen Antwort auf die Grundfrage der Philosophie abgeleitet werden kann, was zu zeigen ist.
Erkenntnistheorie als Theorie der „Umsetzung und Übersetzung“ des Materiellen in Ideelles ist damit, da sie selbst Erkenntnis ist, auch eine Theorie ihrer selbst; sie leidet also chronisch am Gebrechen der Zirkularität, dessen Therapie zuerst zu bestimmen ist.
1. Die andere Seite der Grundfrage der Philosophie als erkenntnistheoretischer Zirkel
Das Verhältnis von Denken – als ideellem Prozess oder als Prozess des Ideellen – und Materiellem beschreibt einen Zusammenhang, in dem sich auch die Befragung dieses Verhältnisses von Ideellem und Materiellem bewegen muss. Das Denken, das über das Verhältnis von Ideellem und Materiellem nachdenkt, steht als Denken selbst in eben dieser Beziehung zum Materiellen. Was also immer über das Verhältnis von Ideellem und Materiellem gedacht wird, realisiert selbst dieses Verhältnis. Jedes Denken, auch das Denken über das Verhältnis seiner selbst zum Materiellen, steht als Denken in eben jener Beziehung zum Materiellen, über die es nachdenkt.
Also muss es sein Verhältnis zum Materiellen innerhalb dieses Verhältnisses selbst klären. Es kann sich nicht, wenn es sein Verhältnis zum Materiellen klären will, sozusagen außer Kraft setzen, indem es sich unter Abstraktion von seinem Verhältnis zum Materiellen rein als Denken zum Gegenstand seiner selbst macht. Zwar kann das Denken sich selbst zum Gegenstand werden, sich auf sich selbst richten, was zu seiner Wirklichkeit notwendig ist; es wird sich selbst aber nur wirklich Gegenstand, sofern es sich in seinem wesentlichen Verhältnis zum Materiellen betrachtet. Aus seinem Verhältnis zum Materiellen kann es so wenig heraustreten wie aus sich selbst, und wenn es sich selbst zum Gegenstand macht, bleibt es doch als Gegenstand wie als Denken, das sich auf diesen richtet, es selbst. Das Denken – als ideelle Tätigkeit kann also nicht aus sich heraustreten und eine Position über seinem Verhältnis zum Materiellen einnehmen, von der aus dieses Verhältnis dann bestimmbar wäre.
Dies heißt aber nur, dass das Denken aus sich heraus nichts über sein Verhältnis zum Materiellen, letzten Endes aber über sich selbst ausmachen kann. Eine Bestimmung des Verhältnisses von Denken, von Ideellem, und Materiellem durch das Denken selbst, also überhaupt, ist offenkundig zirkulär und daher unmöglich.
Da aber erkenntnistheoretisch die Frage nach dem Verhältnis von Ideellem und Materiellem die Frage nach der Möglichkeit der „Objektivität“ der Erkenntnis, nach der Möglichkeit objektiver Wahrheit der Erkenntnis bedeutet, scheint der Schluss notwendig, dass prinzipiell nichts über diese Objektivität der Erkenntnis auszumachen sei. Das erkenntnistheoretische Problem, wie ein Kriterium der Objektivität der Erkenntnis gefunden werden könne, scheint daher unlösbar, eine Erkenntnistheorie überhaupt unmöglich: bliebe also nur die agnostizistische Konsequenz als caput mortuum der Transzendentalphilosophie. In der Tat hat Nelson einen solchen Beweis der Unmöglichkeit einer Erkenntnistheorie vorgebracht. Dieser geht – kurz – wie folgt:
-
Wenn es ein Kriterium gibt, an welchem die „objektive Gültigkeit der Erkenntnis“ entschieden werden könnte, so wäre dies entweder selbst eine Erkenntnis, oder nicht.
-
Wenn es selbst eine Erkenntnis wäre, „dann gehörte es gerade dem Bereich des Problematischen an“, über den mittels des Kriteriums entschieden werden soll. Dieses Kriterium kann also keine Erkenntnis sein.
-
Wenn es keine Erkenntnis ist, müsste es Gegenstand einer Erkenntnis sein. Ob die Erkenntnis, deren Gegenstand das Kriterium ist, aber gültig ist, kann erst mittels des Kriteriums entschieden werden.
-
„Eine Begründung der objektiven Gültigkeit der Erkenntnis ist also unmöglich.“7
Diese nicht besonders tiefe, jedoch in ihrer stillen Größe klassisch zu nennende Argumentation ist tatsächlich unabweisbar, solange die erkenntnistheoretische Frage an der abstrakten Beziehung ihrer Pole, in letzter Instanz von Ideellem und Materiellem, gestellt wird. Denn das Denken kann in der Tat nichts über sich ausmachen als denkimmanente Gesetzmäßigkeiten an und in sich selbst , die es letztlich als a priori gegeben zu nehmen sich gehalten sieht und in mehr oder weniger „empirisch aufgeklaubten“ Kategorientafeln formalisiert.8 Nichts aber kann es feststellen über sein Verhältnis zum Materiellen, nichts über die Objektivität seiner je gegebenen Inhalte, wie – letztlich – auch seiner Formen, denn jene sind – genetisch – von ersteren abhängig, Produkte, deren Produktionsprozess in ihnen formal geronnen ist. Also ist die „große Grundfrage aller, speziell neueren Philosophie“ letztlich Unsinn, und ihre beliebigen Antworten gleichermaßen, oder – etwas freundlicher formuliert – rein voluntaristische Setzungen, reine Meinungssache, doxa, also prä- oder postphilosophischer Natur.
Ergeben hat sich in der Tat, dass die Grundfrage der Philosophie unbeantwortbar, ihre Stellung daher sinnlos ist, wenn sie als Frage begriffen wird, die das auf sich isolierte Denken, im Reich seiner Abstraktionen, an sich selbst richtet, um sein Verhältnis zum Materiellen zu klären. Die Grundfrage hat nur dann Sinn, wenn die Abstraktion ihrer Pole zurückgenommen wird.
Die Frage, ob dem menschlichen Denken gegenständliche Wahrheit zukomme, ist keine Frage der Theorie, sondern eine praktische Frage. In der Praxis muss der Mensch die Wahrheit, i.e. Wirklichkeit und Macht, Diesseitigkeit seines Denkens beweisen. Der Streit über die Wirklichkeit oder Nichtwirklichkeit des Denkens – das von der Praxis isoliert ist – ist eine rein scholastische Frage.9
Marx kritisiert hier genau diese Abstraktion, die das Denken als den einen Pol der Erkenntnisbeziehung isoliert, und zwar kritisiert er die Abstraktion, die das Denken von der „Praxis“ isoliert. Die erkenntnistheoretischen Debatten, die sich auf der Basis dieser falschen Abstraktion entwickeln, bezeichnet Marx als einen rein „scholastischen“ Streit, hier gemeint als Streit um Leerformeln. Eine in diesem Sinne „nichtscholastische“ Stellung der Grundfrage der Philosophie setzt also eine richtige Abstraktion der in ihr befragten Beziehung voraus. Eine richtige Abstraktion wird aber eine solche sein, die nicht von der Praxis abstrahiert.
Dieser Satz ist nun allerdings noch keine Lösung der Probleme, sondern vielleicht ein Wegweiser auf den Weg, der zu einer solchen Lösung führen kann. Die Frage bleibt durchaus noch offen, wie man zu einer richtigen Abstraktion kommt, also zu einer solchen, die nicht von der Praxis abstrahiert. Nicht von der Praxis abstrahieren: das könnte doch wohl heißen, überhaupt nicht zu abstrahieren, also bestenfalls im Pragmatismus herumzubuchstabieren. Das ist allerdings nicht gemeint. Man muss vielmehr von der Praxis selbst so abstrahieren, dass man einen Begriff der Praxis gewinnt. Natürlich operiert man im Denken nicht mit der Praxis selbst, sondern mit dem Begriff der Praxis. Dieser Begriff der Praxis resultiert aus einer Denktätigkeit, einer ideellen Tätigkeit, und als solcher selbst ideell. Das Resultat einer ideellen Tätigkeit kann zunächst selbst nur ideell sein, allerdings durchaus materielle Folgen haben, also in die Praxis selbst eingreifen; dies nebenbei. Die Praxis jedenfalls ist materiell, unbeschadet der ideellen Momente, die sie materiell übergreift; der Begriff der Praxis ist ideell. Praxis und Begriff der Praxis verhalten sich zueinander wie Materielles und Ideelles. Also – und darauf kommt es hier an – scheint zunächst die Einführung des Praxisbegriffs in das Dilemma nichts gegen dieses auszurichten, weil auch der Begriff der Praxis unter es fällt.
Der Abstraktionsprozess aber, der zum Begriff der Praxis führt, weist bestimmte Eigentümlichkeiten auf, die es zu untersuchen gilt. Um diesen auf die Spur zu kommen, soll erneut von jenem Zirkel ausgegangen werden, in dem die abstrakte Stellung der Grundfrage der Philosophie in infinitum sich bewegt.
Der Satz, der die Grundfrage der Philosophie materialistisch beantwortet, dass nämlich das Materielle das Ideelle bestimme, welches von ihm abhängig sei, ist selbst ein Gedanke, oder ein logisch verfasstes Gedankengefüge. Wenn man diesen Satz: „Das Materielle bestimmt das Ideelle“ auf sich selbst anwendet, was er an sich selbst schon fordert, dann muss der Gedanke, in diesem Satz formuliert, selbst durch ein Materielles bestimmt sein. Das Denken kann den Gedanken, dass es durch Materielles bestimmt werde, nicht aus sich selbst genommen haben. In ihm muss sich also, da er Gedanke, oder Denkresultat, Resultat ideeller Tätigkeit ist, ein selbst materieller Zusammenhang ausdrücken.
Der Satz: „Das Materielle bestimmt das Ideelle“ ist daher kein „Prinzip“, kein „aus dem Denken, nicht aus der äußeren Welt abgeleiteter formaler Grundsatz“, sondern ein Grundsatz, der selbst „aus der äußeren Welt“ abgeleitet ist, so Engels. Und weiter:
„Die Prinzipien sind nicht der Ausgangspunkt der Untersuchung, sondern ihr Endergebnis; sie werden nicht auf die Natur- und Menschengeschichte angewandt, sondern aus ihnen abstrahiert (. . .).“10
Wenn nun der Grundsatz des Materialismus, dass das Materielle das Ideelle bestimme, auf ihn selbst angewandt wird, ergibt sich aber der bekannte Zirkel. Denn um diesen Grundsatz zu gewinnen, muss er schon angewandt, muss er aus dem Materiellen abgeleitet, also auf sich selbst angewandt werden. So ist er das Ergebnis seiner eigenen Anwendung.
Es erhellt, dass diesem Zirkel nur dann zu entgehen ist, wenn das Prius des Materiellen vor dem Ideellen nicht nur als Bestimmungs-, sondern ebenso als Entstehungszusammenhang begriffen wird. Dieser Entstehungszusammenhang ist nicht als ein bloß erkenntnistheoretischer zu nehmen, was nichts änderte, etwa gar in erkenntnispsychologischem Sinne, als generative Folge von Empfindung, Wahrnehmung, Erfahrung zum Denken und Erkennen, sondern in ontologischer Bedeutung, nämlich als natur- und gesellschaftsgeschichtlicher Prozess.11
Wenn das Ideelle, das Denken, aus dem Materiellen entstanden ist, nicht nur dieser oder jener Denkinhalt durch das Materielle wie auch immer bestimmt wird, und wenn diese Entstehung einen selbst materiellen Zusammenhang darstellt, ist die materielle Grundlage gegeben, die im Denken als materialistische Antwort auf die Grundfrage der Philosophie reproduziert, abgebildet, widergespiegelt werden kann. Nur wenn also das Verhältnis von Ideellem und Materiellem als selbst materielles Verhältnis begriffen, d. h. die Entstehung des Ideellen als materieller Prozess beschrieben werden kann, ist es möglich, dieses Verhältnis ohne petitio principii materialistisch zu bestimmen.
Ein solcher materieller Entstehungs- und – auf diesem basierend diesen selbst widerspiegelnder – Bestimmungszusammenhang von Ideellem und Materiellem bleibt undenkbar, solange Ideelles und Materielles in abstrakter Isolation einander gegenübergestellt sind.
Der dialektische Materialismus begreift diesen Zusammenhang als selbst materiellen, und zwar auf die einzige Weise, wie er als materieller begriffen werden kann, nämlich als praktischen Zusammenhang, in den das Ideelle in materieller Weise einbegriffen ist.
2. Einheit und Gegensatz von Materiellem und Ideellem
Der materielle Zusammenhang des Materiellen und Ideellen als Entstehungszusammenhang muss jedoch näher bestimmt werden, um ihn als Bestimmungszusammenhang fassen zu können. Die nur abstrakte Bestimmung des Prius des Materiellen vor dem Ideellen reicht nicht hin, da die allgemeine historische Bestimmtheit des Zusammenhangs so nicht gefasst wird. Der Entstehungszusammenhang ist eine Entstehungsgeschichte der gegenständlichen Tätigkeit, der Praxis allgemein,12 die in ihren materiellen und ideellen Komponenten eben nicht „naturalistisch“ (Engels, s. u.) gegeben ist, sondern sich über ihre Formen, mehr noch, über ihre Gestalten, ausgehend von ihren elementarsten, historisch entwickelt, ohne ihre elementaren Formen, die zur menschlichen Ausstattung gehören, in der Entwicklung abzuwerfen – Empfindung eben, die am ehesten als materielle Affektion zu verstehen ist, aber auch Erfahrung, mit der an sie geknüpften empirischen Gewissheit, die als Bewusstseinsleistung nahestens mit der gegenständlichen Tätigkeit überhaupt verbunden ist. Hier jedoch muss zunächst unter Abstraktion von jeder wirklichen Geschichte allgemein von der Einheit und vom Gegensatz des Materiellen und Ideellen gehandelt werden, im Bestimmungsrahmen allerdings historischer Kategorien.
Denken, die Aristokratie der ideellen Tätigkeit, ist zunächst kein solches Abstractum, Denken an sich, das dem Materiellen als seinem Gegensatz einfach gegenüberstünde. Denken ist vielmehr recht plebejisch Denken in Köpfen, Denken in den Köpfen von Menschen, ihre Tätigkeit, menschlich-plebejische Tätigkeit. Im tatsächlichen Lebensprozess der Menschen besteht Denken als eine bestimmte Form ihrer Tätigkeit, und zwar als ideelle Tätigkeit gegenüber ihrer materiellen Tätigkeit. Materielle und ideelle Tätigkeit haben ihre Einheit im menschlichen Lebensprozess. Im Subjekt dieses Lebensprozesses, in der realen Einheit der „wirklichen Individuen“ realisiert sich der Zusammenhang von „Denken und Sein“, von Ideellem und Materiellem, und zwar als ein materieller Zusammenhang, der seine Basis in der materiellen Einheit des Subjekts, eben des Ensembles der „wirklichen Individuen“ hat. In der Einheit des menschlichen Lebensprozesses also besteht das Verhältnis von Ideellem und Materiellem in realhistorischer Bewegung als ein historisch konkretes materielles Verhältnis. Und in diesem realen Lebensprozess, der in seiner Geschichte sich entwickelt, liegen die „wirklichen Voraussetzungen“, mit denen nach Marx und Engels zu beginnen ist.
Die Voraussetzungen, mit denen wir beginnen, sind keine willkürlichen, keine Dogmen, es sind wirkliche Voraussetzungen, von denen man nur in der Einbildung abstrahieren kann. Es sind die wirklichen Individuen, ihre Aktion und ihre materiellen Lebensbedingungen, sowohl die vorgefundenen, wie durch ihre eigene Aktion erzeugten.13
So betrifft die Frage nach dem Verhältnis von Materiellem und Ideellem, die Grundfrage der Philosophie, eine Seite des Verhältnisses, in dem die wirklichen Menschen sich zur natürlichen und gesellschaftlichen Welt verhalten, aber nur eine Seite. Die Bedingung jeder ideellen Tätigkeit, jedes Denkens, jedes Bewusstseins ist die Existenz von Menschen, deren Tätigkeit sie ist. Diese Menschen sind materielle Wesen, die sich mittels materieller Tätigkeit, in welche die ideelle Komponente abhängig eingeschlossen ist, perpetuieren, indem sie sich selbst und ihre Lebensmittel materiell produzieren und reproduzieren.14 Das Subjekt oder Prinzip der ideellen Tätigkeit, als einer Seite der menschlichen Tätigkeit überhaupt, ist also nicht „das Ideelle“, „das Denken“, „das Bewusstsein“, sondern der materielle Mensch, der materiell wirklich ist und wirkt. Dieser materielle Mensch ist die materielle, lebende, tätige Einheit von Materiellem und Ideellem; sein Lebensprozess realisiert die Einheit von materieller und ideeller Tätigkeit.
Die Grundfrage der Philosophie fragt zunächst nach dem Verhältnis von Materiellem und Ideellem, wie es in der Einheit des Subjekts und seiner Tätigkeit besteht; also zunächst nach der Beziehung, die zwischen materieller und ideeller Tätigkeit in der Einheit des menschlichen Lebensprozesses besteht. Sie fragt, ob in letzter Instanz die materielle die ideelle Tätigkeit bestimme oder umgekehrt. Ihre Beantwortung resultiert aus einer Untersuchung dieses menschlichen Lebensprozesses, durch die Untersuchung der Selbstproduktion und Reproduktion dieses Lebensprozesses in der Realgeschichte.
Dass nun aber die Beziehung von Materiellem und Ideellem, von materieller und ideeller Tätigkeit, als Beziehung begriffen werden kann, was der Bestimmung ihres Verhältnisses bedingend vorausgeht, setzt einen Begriff ihrer realen Trennung voraus; Beziehung fordert immer schon das Auseinander des Bezogenen. Das Bewusstsein ist immer schon Bewusstsein seiner Andersheit gegen das Sein, stellt sich selbst als anders bestimmten Abschnitt des Seins dar; es ist Bewusstsein seiner Selbständigkeit, das Sein schon als Entgegenstehendes voraussetzt.
Das Bewusstsein als Bewusstsein der Andersheit gegen das Sein entsteht nun seinerseits als selbst historischer Ausdruck einer realhistorischen Dissoziation der ideellen und der materiellen Tätigkeit, die emphatische Formen annehmen kann, ist also seinerseits Reflex eines materiellen gesellschaftlichen Entwicklungsprozesses.
Die Produktion der Ideen, Vorstellungen des Bewusstseins ist zunächst unmittelbar verflochten in die materielle Tätigkeit und den materiellen Verkehr der Menschen, Sprache des wirklichen Lebens. Das Vorstellen, Denken, der geistige Verkehr der Menschen erscheinen hier noch als direkter Ausfluss ihres materiellen Verhaltens.15
Diese unmittelbare Einheit der materiellen und der ideellen Tätigkeit der Menschen besteht nur in sehr wenig entwickelten Gesellschaftszuständen, die noch durch eine weitgehende Einheit von Mensch und Natur gekennzeichnet sind, in denen der Mensch sich kaum erst von seinem natürlichen Wesen emanzipiert hat. Die Trennung von Natur und Mensch, die Emanzipation des Menschen von seiner eigenen Natürlichkeit ist die Kehrseite seiner Vergesellschaftung, die sich wiederum ausdrückt in einer Verselbständigung der ideellen gegen die materielle Tätigkeit, welche Verselbständigung zunächst ideellen Charakter hat: in der Emanzipation des Bewusstseins aus der ursprünglichen Einheit des menschlichen Lebensprozesses.
Von diesem Augenblick an kann das Bewusstsein sich wirklich einbilden, etwas Anderes als das Bewusstsein der bestehenden Praxis zu sein, wirklich etwas vorzustellen, ohne etwas Wirkliches vorzustellen – von diesem Augenblick an ist das Bewusstsein imstande, sich von der Welt zu emanzipieren und zur Bildung der „reinen“ Theorie, Theologie, Philosophie, Moral etc. überzugehen.16
Die Frage, die das Bewusstsein sich vorlegt, wie nämlich sein Verhältnis zur Welt beschaffen sei, und wie es sich selbst in diesem Verhältnis zur Welt zu begreifen habe, ist ein Resultat der wirklichen Geschichte, nicht ein Resultat von Prozessen bloß im Bewusstsein selbst. Der Gegensatz des Bewusstseins gegen die Welt ist ein Produkt des Differenzierungsprozesses in der menschlichen Tätigkeit. Das Bewusstsein ist nichts als das Bewusstsein der „bestehenden Praxis“ und drückt deren Charakter sowohl darin aus, dass es der Welt entgegengesetzt ist, als auch darin, wie es in seinen spezifischen historischen Gestalten, seinem Inhalt und seiner Form nach, im Gegensatz erscheint.
Das Bewusstsein mit seinen Leistungen kann also nicht in irgendeiner Zeit naturalistisch als bloß Gegebenes in seiner Entgegensetzung gegen die Welt aufgenommen und sein Verhältnis zur Welt aus diesem abstrakten Gegensatz erklärt werden. Engels hat sich nachdrücklich gegen eine solche „naturalistische“ Stellung der Grundfrage der Philosophie gewandt:
„Das kommt davon, wenn man „das Bewusstsein“, „das Denken“, ganz naturalistisch als etwas Gegebnes, von vornherein dem Sein, der Natur Entgegengesetztes so hinnimmt.“17
Davon kommt – kurz gesagt – die Unerklärlichkeit der gegensätzlichen Einheit von „Denken und Sein“, von „Bewusstsein und Natur“, also von Materiellem und Ideellem.
Der wirkliche Lebensprozess der Menschen realisiert die Einheit von Materiellem und Ideellem, indem er materielle und ideelle Tätigkeit gesellschaftlich, historisch integriert. Der Rahmen dieser Integration wird durch eine je bestimmte Produktionsweise angegeben und – an deren Basis – durch eine je bestimmte gesellschaftliche Teilung der Arbeit.
Die Verselbständigung des Bewusstseins gegen die Praxis, weit entfernt nur eine „Einbildung“ zu sein, sofern die realen historischen Klassenstrukturen in den Blick rücken, was sie auch in diesem Rahmen schon sollten, ist eine bestimmte Seite des historischen Prozesses, der von der ursprünglichen Einheit materieller und ideeller Tätigkeit im menschlichen Lebensprozess ausgeht und weiter und weiter von ihr wegführt.
Das Bewusstsein „kann sich einbilden“, etwas anderes zu sein als das „Bewusstsein der bestehenden Praxis“, ist aber nie etwas Anderes und eben damit es selbst als Anderes. Daher bleibt aller „Einbildung“ zum Trotz die Einheit des menschlichen Lebensprozesses im Gegensatz erhalten, und das Bewusstsein ist als Bewusstsein, und wird dabei nie etwas anderes sein, als mehr oder minder verselbständigte ideelle Tätigkeit, die ihre Grundlage im Ensemble der materiellen Tätigkeit hat, auf die sie sich in der Wirklichkeit auch täglich und stündlich zurückwendet und zurückwenden muss, um selbst wirklich zu sein.
Materielle und ideelle Tätigkeit sind also keine abstrakten Gegensätze. Ihre Einheit kennzeichnet spezifisch menschliche Tätigkeit, Arbeit, einem ersten Moment nach, gegenüber tierischer Tätigkeit, denn Arbeit ist ohne bewusstseinsartige ideelle Tätigkeit unmöglich: dem materiellen Arbeitsakt geht ein wissensfundiertes ideelles Projekt voraus, eine „teleologische Setzung“ sozusagen, ein Plan, der sich bewusst an Zwecken orientiert.
An dieser Stelle ist – nota bene – vorerst nur dieses eine Moment des viel komplexeren Arbeitsbegriffs angezogen, ein Moment, das Marx so beschreibt:
„Wir unterstellen die Arbeit in einer Form, worin sie dem Menschen eigentümlich angehört. Eine Spinne verrichtet Operationen, die denen des Webers ähneln, und eine Biene beschämt durch den Bau ihrer Wachszellen manchen menschlichen Baumeister. Was aber von vornherein den schlechtesten Baumeister vor der besten Biene auszeichnet, ist, dass er die Zelle in seinem Kopf gebaut hat, bevor er sie in Wachs baut. Am Ende des Arbeitsprozesses kommt ein Resultat heraus, das beim Beginn desselben schon in der Vorstellung des Arbeiters, also schon ideell vorhanden war.“18
Materielle und ideelle Tätigkeit sind, dies bedacht, sehr wohl auseinander zu legen, zu unterscheiden; sie sind reale Unterschiede in der realen Einheit des menschlichen Lebensprozesses, in dem sie real in Einheit sind. Ihr elementarster und auch einfachster Unterschied besteht an der Tatsache, die in der Geschichte des Denkens über das Denken Bestimmungsmoment der falschen Verselbständigung des Bewusstseins geworden ist, an der Tatsache nämlich, dass Bewusstseinsvorgänge und -inhalte nichtmaterieller Natur sind, dass vielmehr schon die elementarsten Bewusstseinsleistungen – Empfindung, Wahrnehmung usw. – ein materielles Objekt in ein ideelles Bild dieses Objekts transformieren und darin wirklich sind. Dies legte nahe, die Grundlage der Selbständigkeit des Bewusstseins in der Idealität seiner Leistungen zu sehen, und zugleich aus der Idealität seiner Leistungen die Idealität seiner Gegenstände abzuleiten, da Gleiches nur auf Gleiches gehen könne. Dies findet sich im modernen Idealismus, der den Gegenstand nur als Produkt, oder als Projektion intentionaler Akte, oder als akttranszendente Gegebenheit für erkennbar hält. Im Ergebnis korrespondierte so dem bewusstseinsmäßig Ideellen ein – wie auch immer konstituiertes – objektives Ideelles als Realität ersten Grades.
Und in der Tat macht die Idealität des Bewusstseins, der Bewusstseinstätigkeit insgesamt, das Moment des Unterschiedes von materieller und ideeller Tätigkeit im Lebensprozess der Menschen aus. Das klingt ziemlich banal, ist aber – negiert – die Grundlage des Vulgärmaterialismus und seiner ideologischen Derivate. Es besteht also ein Gegensatz aus dem Unterschied von Materiellem und Ideellem: der Gegensatz von Materialität und Idealität. Dieser Gegensatz aber ist, wie Lenin sagt, nicht absolut:
„Dass diese Gegenüberstellung nicht „überschwenglich“, übertrieben, metaphysisch sein darf, ist unbestreitbar. (…) Die Grenzen der absoluten Notwendigkeit und absoluten Wahrhaftigkeit dieser relativen Gegenüberstellung sind eben jene Grenzen, die die Richtung der erkenntnistheoretischen Forschung bestimmen. Außerhalb dieser Grenzen mit der Gegensätzlichkeit von Materie und Geist, von Physischem und Psychischem als einer absoluten Gegensätzlichkeit zu operieren, wäre ein gewaltiger Fehler.“19
Der erkenntnistheoretische Gegensatz von Materiellem und Ideellem ist also eine Abstraktion, eine Abstraktion von der wirklichen Einheit des menschlichen Lebensprozesses, in welchem Materielles und Ideelles in einem Bedingungszusammenhang zusammenhängen, der realhistorisch konstituiert ist. Aus der Komplexität und Vielfältigkeit der Beziehungen, von ihrer historisch gleitenden Skala zu schweigen, in denen materielle und ideelle Tätigkeit innerhalb der Einheit des menschlichen Lebensprozesses stehen, wird das Moment des Gegensatzes von Materialität und Idealität aus dem Verhältnis von materieller und ideeller Tätigkeit herausgehoben.
Die Grundfrage der Philosophie, die nach dem Charakter dieses Gegensatzes fragt, ist daher das Resultat eines Abstraktionsprozesses, der am menschlichen Lebensprozess ansetzt, und den Gegensatz von Materiellem und Ideellem als Moment der Einheit dieses Lebensprozesses aus diesem heraushebt. Ihre Grundlage hat sie an der geschichtlichen Entwicklung dieses Lebensprozesses selbst, und zwar eine Grundlage, der in dem Maße Materialität zukommt, in dem der menschliche Lebensprozess ein materieller Prozess ist.
Wird also – um zu resümieren – die Grundfrage der Philosophie als abstrakt-naturalistische Entgegensetzung der Abstracta „Denken“ und „Sein“ oder – schon weiterführend – „Materielles“ und„ Ideelles“ begriffen, in welchen Abstraktionen gerade deren Charakter untergeht, Resultate eines Abstraktionsprozesses zu sein, so entsteht die philosophische Konstruktion einer doppelten Welt : einer Welt des Ideellen, die einer Welt des Materiellen entgegengesetzt ist. Hieraus entstehen die klassischen Probleme, wie deren Verhältnis nun gedacht werden kann. Das Bewusstsein, das sich in diesem Gegensatz begriff, verstand sich in den großen Zusammenhang dieser ideellen Welt eingebaut und konnte von deren – „eingebildeter“ – Position aus nach seinem Verhältnis zur materiellen Welt fragen, oder ausgehend von der Realität des Ideellen, seiner Selbstgewissheit im „cogito“ z. B., die Frage nach der Realität der materiellen Welt überhaupt stellen.
Oder – im Gegenzug – musste es sich in seinem ideellen Charakter verleugnen, und sich selbst als materiellen Bestandteil der materiellen Welt interpretieren, in der mechanisch-materialistischen Weise etwa, die das Denken als Sekretion des Gehirns nach Analogie der Galle und ihrer Sekretion begriff.
Eine Stellung und materialistische Beantwortung der Grundfrage der Philosophie ist nur auf der Basis einer Untersuchung der Verhältnisse des menschlichen Lebensprozesses möglich, begründet durch eine Bestimmung des Verhältnisses von materieller und ideeller Tätigkeit.
Im Fortgang werden also zunächst die Verhältnisse dieser Tätigkeit – also die Beziehungen von Subjekt und Objekt der Tätigkeit, materieller wie ideeller, praktischer wie erkennender Tätigkeit – zu untersuchen und in ein Verhältnis zur Grundfrage der Philosophie zu setzen sein, was so selbstverständlich nicht ist, wie es scheinen mag.
3. Subjekt-Objekt-Beziehung und Grundfrage der Philosophie
Anfangs muss festgehalten werden, dass nicht eine – wie auch immer gewonnene – materialistische Antwort auf die Grundfrage der Philosophie schon das Verhältnis von Subjekt und Objekt materialistisch bestimmt. Die Grundfrage der Philosophie, die nach dem Verhältnis von Materiellem und Ideellem fragt, fällt nicht einfach mit der Frage nach dem Verhältnis von Subjekt und Objekt zusammen. Das Verhältnis von Materiellem und Ideellem ist nicht bloß ein anderer Ausdruck für das Verhältnis von Subjekt und Objekt, und umgekehrt, wobei höchstens ein anderer Gesichtswinkel einzuräumen wäre.20
Diese Nichtidentität der befragten Verhältnisse erhellt schon vorläufig hinreichend an der einfachen Überlegung, dass das Subjekt nicht einfach als das Ideelle und das Objekt nicht einfach als das Materielle genommen werden und ihr Verhältnis demgemäß in den Bestimmungen des Primats des Materiellen formuliert werden kann. Die Begriffe „Subjekt“ und „Ideelles“ sowie „Objekt“ und „Materielles“ bezeichnen nicht je ein und dasselbe als verschiedene Attribute einer je ein und derselben Substanz. Denn das Subjekt erkennender (ideeller) wie praktischer (materieller) Tätigkeit ist selbst kein Ideelles, sondern etwas Materielles: der ganze soziale Mensch nämlich, der Prinzip materieller wie ideeller Tätigkeit in einem ist.
Dieses Subjekt zerfällt nun nicht nach den Bestimmungen seiner Tätigkeit in ein Subjekt der materiellen und in ein Subjekt der ideellen Tätigkeit, so wenig wie beide Formen der Tätigkeit selbst auseinanderfallen, in dem Sinne, dass die eine ohne die andere überhaupt möglich wäre. So kann als Subjekt erkennender, ideeller Tätigkeit durchaus nicht „das Bewusstsein“ oder „der Geist“ begriffen werden; das Subjekt der ideellen Tätigkeit existiert nur als Subjekt praktischer Tätigkeit, als gesellschaftliches, praktisch, also materiell tätiges Wesen, das als solches selbst materielles Wesen ist.
Ideelle Tätigkeit ist nur als bestimmte Weise oder Form der Tätigkeit eines materiellen Subjekts überhaupt möglich. Dies heißt, dass es weder eine ideelle Tätigkeit ohne ein materielles Subjekt dieser Tätigkeit, noch ein bloß ideelles Subjekt überhaupt geben kann.21 Das „reine“ Bewusstsein, apriorisch bestückt, ist eine Chimäre und geistert durch ein Geisterreich.
Und was für die Seite des Subjekts gilt, dass es nicht einfach „das Ideelle“ ist, trifft gleichermaßen für die Seite des Objekts zu, dass es nämlich nicht einfach „das Materielle“ ist. Denn das Objekt ist nicht „das Materielle“ als solches, sondern ein bestimmtes – und zwar in bestimmter Weise bestimmtes – Materielles, welches dem Subjekt als Gegenstand seiner Tätigkeit gegenübersteht, und zwar als Gegenstand seiner materiellen wie seiner ideellen Tätigkeit.
Das Objekt ist also ein Materielles, das aus dem Bereich der materiellen Welt dadurch herausgehoben wird, dass ein Subjekt mit ihm in Beziehung tritt, indem es Gegenstand seiner Tätigkeit wird.22
In das Verhältnis von Materiellem und Ideellem können also nicht einfach die Begriffe „Subjekt“ und „Objekt“ eingesetzt werden, um zu einer materialistischen Bestimmung des Verhältnisses von Subjekt und Objekt zu kommen. Dieses Verhältnis von Subjekt und Objekt beschreibt in allgemeinster begrifflicher Abstraktion das Verhältnis, welches zwischen dem sozialen Menschen als Subjekt materieller wie ideeller Tätigkeit und den Gegenständen seiner Tätigkeit besteht, daher aber seine Tätigkeit selbst und damit ihn selbst wie seine Gegenstände als Gegenstände. Bestimmte Seiten dieses allgemeinen Verhältnisses werden durch die Begriffe „Praxis“, „gegenständliche Tätigkeit“, „Arbeit“, „Erkenntnis“ erfasst, die jeweils bestimmte Aspekte der menschlichen Tätigkeit betreffen, nicht aber je deren Gesamtheit.
Durch den Begriff der Praxis wird – in erster Näherung – die Gesamtheit der gegenständlichen Tätigkeit, der materiellen Tätigkeit der Menschen bezeichnet. Der Begriff der Praxis umgreift die Arbeit als Aneignung der Natur und die Form der Tätigkeit, die sich auf den selbst materiellen Zusammenhang der Menschen als solchen richtet. Praxis ist also zunächst materielle Tätigkeit der Menschen in ihrer Totalität, diejenige Form menschlicher Tätigkeit, in welcher der Mensch als materielles Wesen materiell wirkt, also materielle Dinge oder Verhältnisse materiell angreift und verändert, materiell transformiert. Demgegenüber ist ideelle Tätigkeit der Begriff aller Formen menschlicher Tätigkeit, die als solche nichts Materielles materiell transformiert, sondern vielmehr Materielles in Ideelles „umsetzt“ und „übersetzt“, wodurch dieses Materielle in diesen ideellen Akten selbst nicht verändert wird. Subjekt-Objekt-Verhältnis und Praxis fallen daher nicht einfach zusammen, denn im Begriff der Praxis ist ideelle Tätigkeit nicht unmittelbar enthalten. Vielmehr verhält sich Praxis zur Erkenntnis, als Inbegriff ideeller Tätigkeit genommen, wie Materielles zum Ideellen. Das Subjekt-Objekt-Verhältnis enthält also in dieser Weise das Verhältnis von Materiellem und Ideellem, welches Gegenstand der Grundfrage der Philosophie ist.
Nun umgreift die menschliche Tätigkeit, die Gesamtheit des menschlichen Lebensprozesses, praktische und erkennende, materielle und ideelle Tätigkeit. In dieser Einheit des menschlichen Lebensprozesses sind Materielles und Ideelles als bestimmte Unterschiede, deren Verhältnis in erster Linie bestimmt wird durch die Antwort auf die Frage, ob die erkennende, ideelle Tätigkeit von der praktischen, materiellen Tätigkeit abhängig sei und bestimmt werde, oder umgekehrt.
Die Antwort auf diese Frage resultiert – wie gezeigt – nicht aus der Binnenbeziehung ihrer Glieder, sondern aus der historischen Faktizität der Entstehung der ideellen aus der materiellen Tätigkeit und erfolgt durch den historischen Nachweis der „Produktion des Bewusstseins“, den der historische Materialismus – im engeren Sinne – liefert. Man denke hier – zur Erläuterung – an jene die Bewusstseinsformationen oder -deformationen betreffenden Passagen vornehmlich im ersten Band des „Kapital“ – Fetischformen. Die Beziehung von materieller und ideeller Tätigkeit im Lebensprozess der Menschen ist „empirisch konstatierbar“ und als solche „wirkliche Voraussetzung“: die Entstehung und Bildung der ideellen aus der materiellen Tätigkeit und ihre Bedingtheit durch diese sind historische Fakten.
Aber bei einem Professoralschulmeister sind die Verhältnisse der Menschen zur Natur von vornherein nicht praktische, also durch die Tat begründete Verhältnisse, sondern theoretische. (…) Aber die Menschen beginnen keineswegs damit, „in diesem Verhältnis zur Außenwelt zu stehen“. Sie fangen wie jedes Tier damit an zu essen, zu trinken etc., also nicht in einem „Verhältnis zu stehen“, sondern sich aktiv zu verhalten, sich gewisser Dinge der Außenwelt zu bemächtigen durch die Tat, und so ihr Bedürfnis zu befriedigen. (Sie beginnen also mit der Produktion.) Durch die Wiederholung dieses Prozesses prägt sich die Eigenschaft dieser Dinge, ihre „Bedürfnisse zu befriedigen“ ihrem Hirn ein, die Menschen lernen auch „theoretisch“ die äußeren Dinge, die zur Befriedigung ihrer Bedürfnisse dienen, vor allen anderen zu unterscheiden.23
Die theoretische Aneignung jener „Dinge der Außenwelt“, welche als theoretische die höchste Form ideeller Tätigkeit ist, entsteht in der Geschichte der menschlichen Praxis, ihrer materiellen Tätigkeit, aus dieser Praxis. Daher ist die materielle Tätigkeit vor der ideellen primär; primär sowohl im Sinne der historischen Genesis ideeller Tätigkeit, des Ideellen überhaupt, sofern diese aus dem aktiven Verhalten zu „Dingen der Außenwelt“, der „Tat“, zwecks Befriedigung der Bedürfnisse erst entstanden ist; sodann aber auch im Sinne der Genesis der ideellen Tätigkeit aus der materiellen, wie sie sich in jeder historisch bestimmten Einheit des menschlichen Lebensprozesses realisiert.
Das Verhältnis von materieller und ideeller Tätigkeit wird also aus der materiellen Tätigkeit selbst erklärt und kann nur aus dieser erklärt werden. Aus dem Begriff der menschlichen Praxis, dem Inbegriff des praktischen Verhaltens der Menschen, ihrer materiellen Tätigkeit, ergibt sich die Bestimmung des Verhältnisses von materieller und ideeller Tätigkeit.
Das Verhältnis von Subjekt und Objekt – so weit kann vorläufig resümiert werden – ist nicht ein Verhältnis, in welchem das Subjekt zum Objekt „steht“, sondern in welchem das Subjekt sich „aktiv verhält“: daher ist es wesentlich ein Verhältnis der subjektiven Tätigkeit. Diese subjektive Tätigkeit integriert eine materielle und eine ideelle Komponente, deren Zusammenhang als ein selbst materieller begründet ist in der Materialität des einen Subjekts beider Tätigkeitsformen, des einen Subjekts. Die materielle Tätigkeit ist daher das bestimmende, übergreifende Moment in der Einheit der menschlichen Tätigkeit, womit das Subjekt, als Prinzip der Tätigkeit, selbst materiell determiniert ist, ein – wie Engels sagt – Spezialfall der universellen Bewegung der Materie.24
Nun ist aber die Gesamtheit der Subjekt-Objekt-Beziehung materialistisch zu Untersuchen, was ja durchaus nicht nur die bisher behandelte Beziehung von materieller und ideeller Tätigkeit betrifft, die im Bereich des Subjekts verbleibt. Vielmehr bleibt die Beziehung von Tätigkeit überhaupt und Gegenstand dieser Tätigkeit zu klären, die dann entsprechend der Formen der Tätigkeit aufzulösen ist in die Beziehungen von materieller Tätigkeit und ihrem Gegenstand, sowie in die von ideeller Tätigkeit und ihrem Gegenstand, worauf die Beziehung zwischen beiden Beziehungen zu untersuchen ist.
4. Das Objekt als Gegenstand der Tätigkeit. Der Begriff der Objektivität
„Objekt“ überhaupt bezeichnet zunächst etwas, was als Nichtsubjekt mit dem Subjekt in Beziehung steht, das Andere des Subjekts. Diese Beziehung aber ist eine des „aktiven Verhaltens“ des Subjekts zum Objekt. Sie ist wesentlich Tätigkeit des Subjekts gegen das Objekt. Dem Subjekt als Prinzip der Tätigkeit korreliert das Objekt als Gegenstand der Tätigkeit. Subjekt und Objekt bezeichnen daher Pole des Verhältnisses der Tätigkeit, in dem das aktive Verhalten, die subjektive Tätigkeit, sich realisiert; oder, sie bezeichnen Pole des Verhältnisses der Tätigkeit und sind als solche Bestimmungen der Tätigkeit.
Daher erscheint zunächst vom Standpunkt des Subjekts das Objekt als sein bloß Anderes, als das, welches ihm nur als das Nichtsubjektive gegenübersteht. Es erscheint daher als das Andere, durch welches das Subjekt in seiner Tätigkeit nur äußerlich begrenzt oder bestimmt wird.25 Indem aber die Beziehung, in welcher das Subjekt zum Objekt steht, als eine des aktiven Verhaltens bestimmt ist, worin das Objekt nur Gegenstand sein kann, löst sich diese abstrakte Bestimmung des Objekts als des bloß Anderen auf. Die bloße Andersheit, die zuerst erschien, erweist sich als abstrakte Form des Objekts, die durch die Bestimmung des Objekts als Gegenstand zum Moment einer fortgehenden Konkretisierung herabgesetzt wird.
Objektivität, die abstrakt zuerst als bloße Andersheit gegen das Subjekt erschien, wird so weiter als Gegenständlichkeit bestimmt. Oder, was an der Beziehung von Subjekt und Objekt zunächst als ein Verhältnis der bloßen Andersheit des Objekts gegen das Subjekt erschien, erweist sich in der Reflexion auf den notwendigen Tätigkeitscharakter dieser Beziehung, die auf dem Begriff des Subjekts als dem notwendig Tätigen beruht, als Verhältnis der subjektiven Tätigkeit, in welcher das Objekt Gegenstand ist. Die Beziehung von Subjekt und Objekt besteht nur als subjektive Tätigkeit;26 das Objekt wird nur Objekt gegenüber dem Subjekt – und damit auch das Andere des Subjekts, indem es Gegenstand subjektiver Tätigkeit wird. Es besteht kein Objekt, das nicht Gegenstand subjektiver Tätigkeit, und es besteht kein Subjekt, das nicht an Gegenständen überhaupt tätig wäre.
Zunächst kommt dem Objekt als Gegenstand subjektiver Tätigkeit die Bestimmung zu, dem Subjekt und seiner Tätigkeit entgegenzustehen. Der Gegenstand ist das, was der Tätigkeit, die sich auf ihn richtet, entgegensteht. Nun steht das Objekt als Gegenstand dem Subjekt entgegen, indem es Widerstand gegen dessen Tätigkeit aufbringt.27 Die abstrakte Äußerung dieses Widerstandes ist eben jene bloße Andersheit gegenüber dem Subjekt, die zuerst erschien und die Bestimmungen der Gegenständlichkeit, der Objektivität selbst noch abstrakt durchlaufen hat. Dieser ersten Bestimmung der bloßen Andersheit liegt die Bestimmung der Widerständigkeit zugrunde.
Das Objekt als Gegenstand subjektiver Tätigkeit bringt aufgrund seiner ihm eigenen Widerständigkeit Widerstand gegen die subjektive Tätigkeit auf; in dieser Widerständigkeit aber drückt sich ein positives Vermögen des Objekts aus, und erst indem es Widerstand gegen die subjektive Tätigkeit aufbringt, also sein positives Vermögen verwirklicht, erscheint es dem Subjekt gegenüber als dessen Anderes, als das Nichtsubjektive, das dem Subjekt zuerst nur entgegensteht. Gegenstand wird nur, was Widerstand gegen die subjektive Tätigkeit aufbringt, dem also an sich Widerständigkeit zukommt.
Im Widerstand des Objekts gegen die subjektive Tätigkeit aber drückt sich seine Selbständigkeit, Unabhängigkeit und Eigengesetzlichkeit an sich gegenüber dem Subjekt aus. Hieraus folgt, dass nur ein wegen seiner Selbständigkeit, Unabhängigkeit und Eigengesetzlichkeit Widerständiges Gegenstand von Tätigkeit sein kann; Tätigkeit aber besteht nur dann und insofern sie einen Gegenstand überhaupt hat. Eine Tätigkeit, die nur an sich, ohne Gegenstand, bestünde, gibt es nicht.28 Die Bedingung der subjektiven Tätigkeit ist also zuerst die Existenz eines widerständigen Objekts überhaupt als Gegenstand dieser Tätigkeit. Gegenstand subjektiver Tätigkeit ist in erster Linie ein Materielles, welches das Subjekt durch seine Tätigkeit seinen Zwecken adaptieren will; in erster Linie ein Materielles, weil die Tätigkeit auf einen materiellen Gegenstand hin, der ein „Ding der Außenwelt“ ist und dessen Adaption subjektive Bedürfnisse befriedigen soll, als Grundverhältnis der Tätigkeit zu gelten hat: das ist – nach Marx und Engels – wie oben ausgeführt, mit den „wirklichen Voraussetzungen“ schon gesetzt.
Dieses Materielle steht dem Subjekt daher als Objekt gegenüber, indem es Gegenstand seiner Tätigkeit wird. Gegen diese subjektive Tätigkeit setzt der Gegenstand nun Widerstand und bewährt sich hierin gerade als Gegenstand dieser Tätigkeit. Und an seinem Widerstand bewährt sich ebenso die subjektive Tätigkeit als Tätigkeit. Nur in der Tätigkeit und durch diese ist das Objekt wirkliches Objekt, indem es Gegenstand wird, und das Subjekt wirklich, indem es sich am Gegenstand verwirklicht.
Die Objektivität des Objekts ist so die bestimmte Weise, in welcher sich das Objekt als Gegenstand der Tätigkeit bestätigt. Daher drückt die Objektivität des Objekts eine subjektive Bestimmtheit des Objekts aus, nämlich die, Gegenstand subjektiver Tätigkeit zu sein. Zugleich aber, weil die Objektivität des Objekts nur besteht, sofern es Gegenstand einer Tätigkeit ist, drückt diese Objektivität des Objekts seine Selbständigkeit, Unabhängigkeit und Eigengesetzlichkeit gegen das Subjekt aus. Denn Gegenstand einer Tätigkeit ist es nur, sofern es einen Widerstand gegen diese Tätigkeit setzt.
Objektivität des Objekts drückt daher seine Bestimmtheit durch das Subjekt aus und zugleich diese seine Bestimmtheit durch das Subjekt bloß als Äußerungsweise seiner eigenen Unabhängigkeit. Denn in der Tat wird der Widerstand des Objekts gegen die Tätigkeit durch die Tätigkeit produziert – durch die Tätigkeit und nur durch diese ist das Objekt Gegenstand und als solcher es selbst als Objekt – aber seine Widerständigkeit wird nicht durch die subjektive Tätigkeit produziert. Gerade indem durch die subjektive Tätigkeit und in Abhängigkeit von dieser der Widerstand des Objekts produziert wird, erweist sich seine Widerständigkeit, also seine Selbständigkeit, Unabhängigkeit und Eigengesetzlichkeit; seine Unabhängigkeit vom Subjekt und seiner Tätigkeit.
In dieser seiner Widerständigkeit aber erscheint seine Materialität. Die Widerständigkeit des Objekts als Gegenstand der subjektiven Tätigkeit drückt seine Materialität in der Bestimmung der Objektivität aus; und der Widerstand des Gegenstandes gegen die Tätigkeit ist die objektive Erscheinungsform seiner Materialität, also die Weise, in der seine Materialität gegen die subjektive Tätigkeit sich manifestiert und wirksam wird.
Das Materielle wird Objekt, dies bedeutet: es wird Gegenstand einer subjektiven Tätigkeit; das Materielle wird Objekt, dies bedeutet: es wird als Widerständiges Gegenstand, oder es wird als Subjektunabhängiges subjektabhängig. Seine Bestimmtheit durch das Subjekt besteht gerade darin, in dieser Bestimmtheit als das wesentlich Unabhängige bestimmt zu sein. Objektivität drückt diesen Widerspruch aus, dass Unabhängiges abhängig sein soll; oder Objektivität bedeutet subjektabhängige Bestimmung der Subjektunabhängigkeit.
Objektivität hat zugleich die Bedeutung der Widerständigkeit, also der Selbständigkeit unter der Bestimmtheit der subjektiven Tätigkeit, und der Bestimmtheit durch die Subjektivität des Subjekts, durch seine Tätigkeit. Objektivität bedeutet daher Materialität in subjektiver Bestimmtheit, oder Materialität erscheint in der Beziehung von Subjekt und Objekt, in der Tätigkeit des Subjekts, als Objektivität; oder weiter, Objektivität ist die durch subjektive Tätigkeit bestimmte Weise, in der die Materialität des Materiellen, welches Gegenstand der Tätigkeit und somit Objekt wird, erscheint.
Dies bedeutet zugleich, dass in der subjektiven Tätigkeit die Materialität des Gegenstandes nur in bestimmter Weise erscheint. In der Objektivität erscheint Materialität nur in bestimmter Weise, in einer Weise, die von der bestimmten Weise der Tätigkeit abhängig ist, in welcher das Materielle als Gegenstand auftritt. Das Objekt ist daher das Materielle und ist nicht das Materielle. Dies ist nur eine antinomische Formulierung des Widerspruchs der Objektivität.
Das Objekt ist das Materielle, sofern es als dieses ganze Materielle Gegenstand der Tätigkeit wird. Zum Beispiel dieser ganze, in einen Faustkeil zu transformierende Stein29 wird Gegenstand der Tätigkeit; als solcher ist er Objekt. Seine Materialität manifestiert sich in seiner Härte, die der transformierenden Tätigkeit Widerstand entgegensetzt. Seine Widerständigkeit, die sich durchaus in anderen Formen des Widerstands manifestieren kann, z. B. als Schwere, erscheint in Abhängigkeit von der Weise der Tätigkeit, hier dem Meißeln, als seine Härte. Diese seine Härte aber macht nicht seine ganze Materialität aus. Sie, die Härte, als eine bestimmte Äußerungsform seiner Materialität, beruht auf der mineralogischen und diese wiederum auf seiner elementarphysikalischen Struktur bis in die quantenmechanischen Spezialitäten, und so weiter … Härte erschöpft nicht die Körperlichkeit des Steins, und die Körperlichkeit selbst fällt nicht mit der Materialität zusammen.
Gegen die Tätigkeit, d. h. in seiner Objektivität, erscheint seine Materialität also nur in einer durch eben diese Tätigkeit bestimmten Form. In der Objektivität drückt sich seine Materialität in Abhängigkeit vom Subjekt, i. e. von dessen Tätigkeit aus. Nun ist aber jene – wie ebenso jede andere – bestimmte Form seiner Materialität Ausdruck, oder subjektabhängige Äußerung, seiner ganzen Materialität. Denn die Härte des Steins drückt seine Materialität ganz in einer seiner Eigenschaften aus; nur als dieses bestimmte Materielle, dessen Materialität diesen bestimmten Charakter hat, ist der Stein auch hart.
„Objekt“ bezeichnet daher ein Materielles als Gegenstand subjektiver Tätigkeit, wodurch dieses Materielle auf bestimmte Formen seiner Materialität reduziert wird. In dieser reduktiven Bestimmung steckt eine reale Negation.30 Das Prinzip dieser Reduktion ist das Subjekt, sofern es tätig wird. Indem ein Materielles Gegenstand von Tätigkeit, also Objekt wird, erfolgt eine Modifikation dieses Materiellen, die man als Abstraktion insofern begreifen kann, als in praktischer Absicht von der – vielleicht unüberschaubaren – Gesamtheit seiner Bestimmungen abgesehen wird, was zugleich eine Bedingung der Möglichkeit des praktischen Zugriffs ist.
Wenn ein Materielles, welches Gegenstand materieller subjektiver Tätigkeit und somit Objekt wird, hierdurch auf bestimmte, durch die Art und Weise der Tätigkeit bestimmte Formen seiner Materialität reduziert wird, liegt in der Tat eine materielle, oder in dieser Hinsicht reale Abstraktion auf diese bestimmte Form seiner Materialität vor. So abstrahiert jene troglodytische Tätigkeit, die einen Stein in einen Faustkeil transformiert, real von allen anderen Bestimmungen der Materialität, die jenem Stein zukommen, zugunsten seiner Härte, seiner formbaren Härte, da in dieser Tätigkeit die Form des Steins mechanisch verändert werden soll und er zugleich dazu ausersehen ist, die Hirnschalen irgendwelcher aktuellen Gegner oder potentieller Essbarkeiten zu zertrümmern.
Der subjektiven Tätigkeit überhaupt ist daher ein solcher abstrahierender Zug eigen. Auch in dieser Hinsicht, sei vorgreifend bemerkt, bestehen zwischen der materiellen und ideellen subjektiven Tätigkeit keine absoluten Gegensätze. Im Gegenteil wäre es erstaunlich, wenn sich keine grundsätzliche Kongruenz zwischen ihnen feststellen ließe, da doch die ideelle Tätigkeit aus der materiellen entstanden ist und durch sie und ihr Gegenstandsverhältnis, damit durch ihre eingeschlossenen Gegenstände, bestimmt wird.
In der Tat – dies soll hier zur Erläuterung eingeschoben werden, obwohl nicht am systematischen Ort – ist die Grundlage der Klassifikation der Dinge praktisch produziert, indem in der praktischen Tätigkeit, „durch die Tat“, wie Marx schreibt, angeleitet durch das Bedürfnis, die Unterscheidung der Dinge erfolgt, auf der die „theoretische“ Unterscheidung aufbaut, die ihren formalen Abschluss in der Definition findet. In der Definition wird das Ding durch Angabe seiner Gattung und seiner Art festgestellt. Auf diese klassifizierende Tätigkeit aber baut sich ursprünglich die Logik der Wissenschaften auf und hat darin ihre Grenzen. Die Kriterien dieser Klassifikation aber liegen nicht in den Dingen schlechthin, so dass sie durch einfache Betrachtung ablesbar wären, und auch nicht in der vielleicht gar apriorischen Organisation des menschlichen Verstandes, sondern in der historisch und durch Bedürfnisse bestimmten und geleiteten Weise der materiellen, oder der praktischen Tätigkeit; der materiellen Produktion in Produktionsverhältnissen.
So kann der abstrakte Begriff, der eine Klasse von Dingen bezeichnet, als das ideelle Korrelat einer bestimmten abstraktiven Form der materiellen Tätigkeit betrachtet werden, ohne dass allerdings jene Klasse von Dingen als solche subjektiv gesetzt wäre. Diese subjektivistische Verkennung löst sich auf, wenn bedacht wird, dass jene Dinge an sich selbst in eine Klasse gehören müssen, um überhaupt Gegenstand einer und derselben Form materieller Tätigkeit werden zu können. Dass die hölzernen Dinge keine eisernen sind, liegt ja nicht daran, dass man wohl ersteren, nicht aber letzteren mit dem Schnitzmesser beikommen kann.31
Das Objekt als Gegenstand der subjektiven Tätigkeit stellt also eine Abstraktion von jenem Materiellen dar, das Objekt wird, sofern es nur unter der Bestimmtheit der Tätigkeit, nicht aber seiner ganzen Materialität, Eigenheit und Gesetzlichkeit nachgenommen wird. Tätigkeit überhaupt ist in dieser Hinsicht abstraktive Tätigkeit, da sie Materielles zum Objekt macht, die Materialität des Materiellen auf die Objektivität des Objekts reduziert.
Die Materialität des Materiellen manifestiert sich in allen Formen des Widerstandes, in welchen sie, sofern jenes Materielle Gegenstand subjektiver Tätigkeit wird, erscheinen kann. Ein und dasselbe Materielle kann in sehr verschiedener Weise Gegenstand werden, sowohl historisch gleichzeitig, gemäß der Differenziation der Tätigkeit, als auch in verschiedenen Phasen der historischen Entwicklung der Tätigkeit – in verschiedenen Produktionsweisen. In jeder dieser Formen erscheint die ganze Materialität des Materiellen, die unabhängig davon besteht, ob sie in dieser oder jener Form erscheint. Nur weil die ganze Materialität des Materiellen, oder das Materielle selbst in jeder dieser Formen präsent ist, wird eine materielle Transformation eines Materiellen überhaupt möglich. An jeder Manifestationsweise des Materiellen erfolgt eine materielle Transformation, die das Materielle selbst transformiert.
Der abstraktive Charakter der Tätigkeit, der an der bestimmten Weise der Objektivität des Objekts erscheint, bestimmt so das Moment der Subjektabhängigkeit des Objekts näher: An ihm erhellt die Äußerlichkeit der subjektiven Bestimmtheit des Objekts. Indem nämlich das Materielle als Gegenstand der Tätigkeit auf das Objekt reduziert wird, bleibt seine Materialität als solche unberührt. Das Materielle bleibt das Materielle, wenn es Objekt wird; es ist ihm sozusagen gleichgültig, ob es Objekt wird oder nicht. Und ebenso bleibt es der Materialität dieses Materiellen gleichgültig, ob sie sich in dieser oder jener Form des Widerstandes manifestiert, oder ob sie überhaupt als Widerständigkeit auftritt. Und ferner berührt es die Materialität des Materiellen nicht, wenn es in der Tätigkeit realiter transformiert, also formal in gewisser Weise aufgehoben oder zerstört wird. Diese Transformation, formale Zerstörung inbegriffen, nämlich ist nichts anderes als die durch subjektive Tätigkeit aktualisierte Potenz seiner Selbstveränderung. Die Tätigkeit transformiert das Materielle immer nur gemäß dessen eigener Gesetzlichkeit und realisiert daher nur Bestimmungen dessen eigener Materialität.
Die Reduktion des Materiellen aufs Objekt berührt daher auch das Materielle nur als Objekt, d. h. sie setzt eine subjektive Bestimmtheit des Materiellen nur für das Subjekt. In der Beziehung von Subjekt und Objekt schlägt also das Moment der Subjektabhängigkeit des Objekts in sein Gegenteil um. Die Subjektabhängigkeit des Objekts erweist sich vielmehr als die spezifische Form, in welcher das Objekt subjektunabhängig ist. Die Form des Objekts, in die das Materielle als Gegenstand subjektiver Tätigkeit tritt, ist die Form, in welcher das Subjektunabhängige für das Subjekt subjektabhängig wird – und die zuerst als bloße Andersheit erschien. Für das Subjekt existiert das Materielle nur unter der Form des Objekts, was das Materielle nicht, wohl aber das Subjekt betrifft.
Hieran erhellt, dass die Theorie der sozusagen gleichberechtigten wechselseitigen Abhängigkeit von Subjekt und Objekt noch keine materialistische Auffassung der Subjekt-Objekt-Beziehung darstellt, weil das Objekt so nur unter der Form des Objekts genommen wird, nicht aber als das Materielle, das in dieser Form mit dem Subjekt zusammenkommt.32
5. Die objektive Bestimmtheit der Tätigkeit
In seiner Tätigkeit, materieller wie ideeller Tätigkeit, und nur in dieser Tätigkeit bestätigt das Subjekt seine Subjektivität. Wenn das Subjekt auch als das bestimmt ist, was seiner Tätigkeit als deren Prinzip zugrunde liegt, besteht es doch nicht frei von seiner Tätigkeit, als Untätiges, Ruhendes, ohne Tätigkeit.33 Nur in seiner Tätigkeit und durch sie ist es wirklich, existiert es. Dabei aber geht es nicht in seiner Tätigkeit auf, sondern existiert als das, was tätig ist, als Prinzip, und zwar als Einheitsprinzip seiner Tätigkeiten. Seine Tätigkeit ist seine Existenzweise; es existiert nicht neben dieser seiner Existenzweise, in der es wirklich ist, i. e. wirkt, sich verwirklicht; seine Tätigkeit besteht nicht ohne es selbst als Prinzip seiner Tätigkeiten, vielleicht als reines Bewusstsein – oder als reine Arbeit. Solche Verselbständigungsformen kommen historisch vor und sind nicht bloß Verkennungen, sondern real; man nehme die reine Arbeit als Arbeitszeitquantum, so gesellschaftlich notwendig, dann Wert. Die Existenz des Subjekts ist nicht Existenz der Tätigkeit, sondern des Tätigen, daran ändert auch ein historisches quid pro quo nichts. Tätigkeit ist die notwendige Existenzweise des Subjekts, sein „inhärentes Attribut“.34 Die subjektive Tätigkeit besteht nun nicht als reine Tätigkeit eines Subjekts an sich, sondern nur an Gegenständen und auf Gegenstände hin, als Tätigkeit eines Subjekts, welches sich gegenüber notwendig Objekte überhaupt hat. Das Subjekt existiert überhaupt nur unter der Bedingung, dass ihm Objekte überhaupt gegenüberstehen, denn seine Tätigkeit als seine Existenzweise ist an Gegenstande überhaupt gebunden. Seine Tätigkeit besteht nur an Objekten, und zwar an deren Widerstand. Das Subjekt manifestiert also seine Wirklichkeit, seine Existenz, seine Selbständigkeit an Objekten, deren selbständiges Bestehen, deren Subsistenz, in ihrem Widerstand gegen die Tätigkeit des Subjekts für das Subjekt wirksam und wirklich wird.
Das Objekt ist das Materielle in der Bestimmtheit des Subjekts, d. h. der subjektiven Tätigkeit, als deren Gegenstand. An dem Widerstand des Gegenstandes gegen die Tätigkeit erschien die Widerständigkeit des Objekts, welche ihrerseits die Materialität des Materiellen als Objektivität des Objekts ausdrückte, also in der Bestimmtheit des Subjekts. So erschien die Reduktion des Materiellen aufs Objekt als abstraktive Leistung des Subjekts, das Materielle hiermit als Objekt unter subjektive Bestimmtheit gebracht, in der Weise, als sei die subjektive Tätigkeit, die Reduktion des Materiellen aufs Objekt, ein Ausfluss reiner subjektiver Spontaneität. Dieser – folgenreiche – Schein geht in die Tätigkeit selbst zurück.
Der subjektiven Tätigkeit entspricht am Objekt der Widerstand gegen die Tätigkeit. Nun fallen Tätigkeit des Subjekts und Widerstand des Objekts in gewisser Weise zusammen: der Widerstand ist geradezu die objektive Seite der Tätigkeit, an der sich die Tätigkeit selbst im Prozess ihrer Ausübung zu bewähren hat. In der Tätigkeit gehen Subjekt und Objekt in Einheit. Diese aber ist keine subjektiv bestimmte Einheit, sondern eine objektiv bestimmte: Zwar ist die Tätigkeit subjektiv ausgelöst, an subjektiven Zielen, Bedürfnissen usw. orientiert, durch „teleologische Setzungen“ ausgerichtet und strukturiert, aber ob sie überhaupt zustande kommt, hängt von ihrer Adäquatheit dem Objekt gegenüber ab. Ein subjektives telos der Tätigkeit kann ja durchaus am Objekt scheitern, und zwar wird die Tätigkeit unbeschadet ihrer Ziele dann scheitern, wenn sie dem Gegenstand nicht adäquat ist. Sie wird ihn nicht einmal antreffen. Wenn Tätigkeit zustande kommt, wirklich wird, hat das Subjekt seine Tätigkeit auf den Gegenstand abgestimmt, d. h. aber eine objektiv bestimmte Einheit von Subjekt und Objekt hergestellt. Die subjektive Tätigkeit muss sich also auf den Widerstand des Objekts einstellen, und sei es asymptotisch, über Anpassungen sich diesem angleichen. Im Widerstand aber manifestiert sich die spezifische Materialität des Materiellen, das Objekt wird, und zwar auf spezifische Weise. Nun hängt es zwar von der Art und Weise der Tätigkeit ab, in welcher Weise der Widerstand auftritt; zuvor aber hängt die Art und Weise der Tätigkeit selbst von der Weise dieses Widerstandes ab, da sie überhaupt nur zustande kommt, wenn sie auf diesen eingeht. So hängt also die spezifische Weise des Widerstandes in erster Linie von der spezifischen Materialität jenes Materiellen ab und wird erst auf dieser Basis durch die Tätigkeit hervorgerufen. Die Härte des Steins, um noch einmal auf dieses archaische Beispiel zurückzukommen, welcher Gegenstand von Tätigkeit ist, wird nicht durch diese produziert, sondern manifestiert sich nur an ihr als Widerstand des Objekts, der durch sie nur hervorgerufen wird.
So erscheint die wechselseitige Abhängigkeit des Widerstandes und der Tätigkeit in einem anderen Licht. Denn die Abhängigkeit des Widerstandes von der Tätigkeit hat einen grundsätzlich anderen Charakter als die Abhängigkeit der Tätigkeit vom Widerstand. Die Tätigkeit besteht nur am Gegenstand, in jeder Einheit von Widerstand und Tätigkeit; der Widerstand aber hängt zuallererst von der Widerständigkeit des Objekts ab, deren Ausdruck er ist. Diese aber ist von der Tätigkeit unabhängig, weil sie Äußerungsform der Materialität am Objekt ist.
Das Subjekt besteht nur in seiner und durch seine Tätigkeit; das Objekt hingegen besteht nur als Objekt abhängig vom Subjekt, nicht aber als Materielles, welches durch das Subjekt Objekt wurde, ohne dadurch aufzuhören, das Materielle zu sein, das es schon war. Daher produziert die Tätigkeit zwar den Widerstand, wodurch die Tätigkeit sich am Objekt, und damit objektiv, ausdrückt, aber eben nur den Widerstand, und nicht das, was sich in diesem Widerstand ausdrückt und ihm eigentlich zugrunde liegt.
So gehen Tätigkeit und Gegenstand der Tätigkeit zwar in Einheit, aber in dieser Einheit bestimmt der Gegenstand die Tätigkeit. Und zwar bildet die Tätigkeit den Gegenstand ab; in der Tätigkeit spiegelt sich der Gegenstand. Der Charakter jener Bestimmtheit der Tätigkeit durch den Gegenstand, die oben festgestellt wurde, kann daher präzisiert werden: Tätigkeit überhaupt ist Widerspiegelung des Gegenstandes.
Oder anders herum: Widerspiegelung ist Tätigkeit an Gegenständen, oder allgemein: Wechselwirkung materieller Systeme, unter welche die subjektive Tätigkeit kraft ihrer Materialität, oder ihrer materiellen Bedingtheit, fällt. Die materielle Tätigkeit spiegelt aktuell in ihrer eigentümlichen Materialität den Gegenstand wider; sie ist ein Spezialfall der universellen Wechselwirkung, die Widerspiegelung ist.35
Nun realisiert, abstrakt formuliert, das Verhältnis der materiellen, praktischen Tätigkeit zum materiellen Gegenstand eine materielle Wechselwirkung, deren konkretere Bestimmungen oben untersucht wurden, ausgehend vom bloß Anderen. Im Verhältnis von Subjekt und Objekt, das allgemein die Gesamtheit des menschlichen Lebensprozesses beschreibt, steht also nicht nur die erkennende Tätigkeit in der Beziehung der Widerspiegelung zum Gegenstand, sondern ebenso die praktische Tätigkeit, so dass die Beziehung von Subjekt und Objekt überhaupt als Widerspiegelung beschrieben werden kann. Und zwar besteht die Beziehung der Widerspiegelung nicht nur darin, dass die subjektive Tätigkeit ihren Gegenstand wiederspiegelt, sondern ebenso auch darin, dass in den Gegenständen, d. h. in dem Bereich des Materiellen, der zum Gegenstand überhaupt wird, sich die subjektive Tätigkeit, das subjektive Vermögen, das historische Niveau seiner produktiven Vermögen widerspiegelt. In diesem Sinne redet der frühe Marx von der Welt der Gegenstände, resp. Produkte, als dem Spiegel der menschlichen „Wesenskräfte“.36
Die praktische Tätigkeit spiegelt ihren Gegenstand so, wie er für sie Gegenstand ist, d. h. nicht das Materielle als solches, sondern das Materielle so, wie es Objekt geworden ist. Da aber andererseits das Objekt die Tätigkeit spiegelt, insofern es selbst eine Beziehung der Tätigkeit auf es an ihm selbst ausdrückt, spiegelt die Tätigkeit, indem sie das Objekt als ihren Gegenstand widerspiegelt, zugleich sich selbst als Moment das Objekts wider; oder anders gesagt: Sie steht sich in ihrem Gegenstande, dem Objekt, selbst als einem Objektiven gegenüber. Die praktische Tätigkeit ist so Objektivation eines subjektiven Vermögens; diese geschieht, indem sie sich am Objekt als materielle Veränderung niederschlägt. Und gleichermaßen gilt für das Subjekt, dass sich in ihm durch seine eigene Tätigkeit materielle Veränderung niederschlägt, sofern nämlich das Subjekt in der Folge der Tätigkeit sich selbst materiell verändert. Die materielle Veränderung des Materiellen, das Objekt geworden ist, schlägt so auf das Subjekt zurück und wirkt sich an ihm als materielle Veränderung seiner selbst aus. Diese materielle Veränderung beschränkt sich nicht auf eine Veränderung nur der menschlichen Körperlichkeit, der Hände, des Gehirns usw., sie ist vornehmlich eine Veränderung der materiellen subjektiven Vermögen, generalisiert, der Produktivkräfte, die sich in bestimmten Verhältnissen in einer bestimmten Produktionsweise bewegen. Produktivkräfte, Produktionsverhältnisse, Produktionsweise und ihre Bewegung als solche, und mit- oder gegeneinander, sind Begriffe, welche die materielle gesellschaftliche Ausstattung des Subjekts bezeichnen; in ihren Bereich hinein wirkt unmittelbar die materielle Selbstveränderung des Subjekts, die eine Seite seiner Tätigkeit überhaupt ausmacht.
Von diesen elementaren (und darin beschränkten) Bestimmungen des Verhältnisses der Tätigkeit überhaupt kann zu einer Untersuchung des Verhältnisses der ideellen Tätigkeit, oder der Erkenntnis fortgegangen, und damit das Terrain der eigentlichen Erkenntnistheorie betreten werden, die auf eine Theorie der objektiven Wahrheit hinauslaufen muss.
Die andre Seite der Grundfrage der Philosophie rückt somit systematisch selbst in den Blick, nachdem – hoffentlich – der glacis soweit geräumt ist.
Endnoten
1 Friedrich Engels: Ludwig Feuerbach und der Ausgang der klassischen deutschen Philosophie, MEW 21, S. 274 ff. Ich bin nicht der Meinung, dass an Engels’ Formulierungen mit der Mikrometerschraube heranzugehen ist. Ebenso halte ich eine neue Runde der Debatte über das Verhältnis der Abstracta „Denken“ und „Sein“ für überflüssig, wenn nicht gar schädlich, weil von da nichts auf die realen Abstraktionen führt, aus denen sie stammen.
2 Das soll kein Plädoyer dafür sein, nun bei der Soziologie eine Hypothek aufzunehmen, was vielleicht manchem klammen Ontologen vorschweben mag.
3 „Sein“, „Natur“, „Welt“, „Materie“, „Materielles“ – das alles sind Kategorien, die logisch-ontologisch bestimmt sind und in einem bestimmten kategorialen Verhältnis zueinander stehen, also nicht einfach ohne weitere Umstände als Synonyme verwendet werden können. Leider sind diese gewohnheitsmäßig fixierten Ungenauigkeiten oder Sorglosigkeiten im Einzelnen vorerst noch nicht zu eliminieren, um die Darstellung nicht über Gebühr zu komplizieren. Husserl beklagt interessanterweise, für seine philosophischen Zusammenhänge, eben diese terminologische Zerfahrenheit und die Notwendigkeit von Kompromissen der Darstellung. Edmund Husserl: Ideen 1, Husserliana III, Haag 1950, S. 9.
4 Karl Marx: Kapital I, Nachwort zur 2. Auflage, MEW 23, S. 27.
5 Sie bleibt damit beschreibend, vielleicht auch eine „Phänomenologie der gegenständlichen Tätigkeit“; sie zielt jedenfalls darauf ab, schon analog der „Phänomenologie des Geistes“, das Beschreiben mit der Beschreibung des Beschriebenen und dies letztere wiederum mit dem Beschreiben in Einheit zu setzen. In dieser Hybris hat sie auch ihren Widerspruch, der wesentlich logisch bleibt.
6 „Der Hauptmangel alles bisherigen Materialismus (…) ist, dass der Gegenstand, die Wirklich-
keit, Sinnlichkeit nur unter der Form des Objekts oder der Anschauung gefasst wird, nicht aber als sinnlich-menschliche Tätigkeit, Praxis. Daher die tätige Seite abstrakt im Gegensatz zu dem Materialismus von dem Idealismus – der natürlich die wirkliche, sinnliche Tätigkeit als solche nicht kennt – entwickelt.“ Karl Marx: Thesen über Feuerbach, MEW 3, S. 5.
7 Leonard Nelson: Über das sogenannte Erkenntnisproblem, Göttingen 1931, S. 344. – Ders.: Die Unmöglichkeit der Erkenntnistheorie (1911), in: Die Reformation der Philosophie, Leipzig 1918. Roman Ingarden referiert schon 1921 diese Argumentation und setzt dagegen: „wer uns auf obigem Wege die Ummöglichkeit der Erkenntnistheorie zu beweisen sucht, begeht selbst eine Petitio Principii. In dem obigen Beweise wird ja offenbar die Idee der Wahrheit, wie die Geltung der logischen Gesetze vorausgesetzt. Die vernünftige Setzung der Idee der Wahrheit ist aber ohne die Möglichkeit der Erkenntnistheorie unmöglich. Somit muss die Möglichkeit der Erkenntnistheorie zwecks eines Beweises der Unmöglichkeit derselben vorausgesetzt werden.“ Ingarden: Über die Gefahr einer Petitio Principii in der Erkenntnistheorie, Jahrbuch für Philosophie und Phänomenologische Forschung IV, Halle 1921, S. 547. Damit ist natürlich nur eine weitere Umdrehung des Zirkels veranlasst, der so weiterdrehen kann – in infinitum. Ingarden sucht übrigens durch eine Spielart phänomenologischer Unmittelbarkeit à la Husserl auszubrechen, die als „intuitives Durchleben des Aktes“ die Identität schlechthin des Erkannten und des Erkennens stiften soll, also vom Zirkel tangential auf den Irrationalismus hinsteuert (ebd., S. 564). Schon Hegel hat eine begründend sein sollende Erkenntnistheorie mit Hinweis auf den Zirkel abgewiesen. „Das Erkenntnisvermögen untersuchen heißt, es erkennen. Die Forderung ist also diese: man soll das Erkenntnisvermögen erkennen, ehe man erkennt; es ist dasselbe wie mit dem Schwimmenwollen, ehe man ins Wasser geht.“ Hegel: Geschichte der Philosophie III, in: ders., HW 20, S. 334. (HW = Werke in zwanzig Bänden, hg. von Eva Moldenhauer und Karl Markus Michel, Frankfurt/Main 1970). Darin steckt natürlich auch eine Selbstbegründung, eine grundsätzlich andere zwar, durch Vollzug und im Vollzug.
8 Kant kreidet Aristoteles diesen empiristischen Voluntarismus an; sein eigener, höchst künstlicher Gewaltstreich, der in der transzendentalen Analytik umtreibt, die Kategorien aus den Formen des Urteils abzuleiten, ist nicht weniger voluntaristisch und – da ahistorisch unter Abstraktion vom praktischen Verhältnis – letztlich auch empiristisch in Bezug auf den fix und fertig vorgefundenen Verstandesapparat. Auf diese Entwicklungsferne zielt auch Hegels Kritik – mutatis mutandis – an der transzendentalen Logik.
9 Karl Marx, Thesen über Feuerbach, MEW 3, S. 5.
10 Friedrich Engels: Anti-Dühring, MEW 20, S. 32 f.
11 Die naturgeschichtliche Seite dieses Prozesses auszuklammern, einen Aspekt der Dialektik der Natur, führt letztlich in einen Soziologismus.
12 Hans Heinz Holz stellt in „Weltentwurf und Reflexion“, 19. Kapitel, Stuttgart/Weimar 2005, S. 580 ff., die Folge „Tätigkeit“, „gegenständliche Tätigkeit“, „Arbeit“, „Praxis“ auf, was zunächst einmal viel für sich hat, aber m. E. den Zusammenhang noch nicht erschöpft, vor allem nicht, was die historische Dialektik des Prozesses der Arbeit angeht, dessen Negativität es in der Entfaltung des Werts zu ungeheuren Wucherungen über dem Subjekt-Objekt gebracht hat.
13 Karl Marx/Friedrich Engels: Deutsche Ideologie, MEW 3, S. 20.
14 Von „Arbeit“ ist hier in gewisser Weise schon die Rede; zum konkreten Begriff der Arbeit fehlen aber noch entwickelte Bestimmungen von Tätigkeit und ihrem Gegenstand überhaupt, gegenständlicher Tätigkeit, die erst aus einer Dialektik von Subjekt und Objekt gewonnen werden können, die sich historisch konkretisiert.
15 Marx/Engels: Deutsche Ideologie, MEW 3, S. 26.
16 Ebd., S. 31.
17 Friedrich Engels: Anti-Dühring, MEW 20, S. 33.
18 Karl Marx, Das Kapital, Band 1, MEW 23, S. 193.
19 Lenin: Materialismus und Empiriokritizismus, LW 14, S. 244.
20 Als charakteristisch für diese verbreitete Fehleinstellung sei zitiert: „Die Grundfrage der Philosophie hat ihren Ursprung in den fundamentalen Fragen unseres Lebens: Es gibt materielle Erscheinungen, und es gibt geistige Erscheinungen – das Bewusstsein, das sich vom Materiellen unterscheidet. Die Abgrenzung von Denken und Sein, von Subjekt und Objekt vollzieht sich in jedem Akt des menschlichen Bewusstseins und Handelns. (…) Welche Erscheinung wir auch betrachten, man kann sie immer entweder der Sphäre des Materiellen, Objektiven oder der Sphäre des Geistigen, Subjektiven zuweisen. Doch bei allen Unterschieden zwischen Objektivem und Subjektivem gibt es zwischen beiden einen bestimmten Zusammenhang. Dieser Zusammenhang wird aufgedeckt, sobald wir darüber nachdenken, was als das Primäre und was als das Sekundäre anzusehen, was in der Welt das Bestimmende ist: das Materielle oder das Geistige, das Objekt oder das Subjekt.“ Grundlagen der marxistisch-leninistischen Philosophie, Berlin (und Frankfurt/Main) 1971. (Lehrbuch der Akademie der Wissenschaften der UdSSR, deutsch besorgt vom Zentralinstitut der Akademie der Wissenschaften zu Berlin).
21 „Das Bewusstsein kann nie etwas Andres sein als das bewusste Sein, und das Sein der Menschen ist ihr wirklicher Lebensprozess.“ Bewusstsein meint hier so viel wie Ideelles überhaupt, als Inbegriff der „geistigen Produktion“, der „Vorstellungen, Ideen pp.“ Die Annahme der Existenz eines nichtbewusstseinsartigen Ideellen setzt die Annahme eines „aparten Geistes“ voraus. Man muss „außer dem Geist der wirklichen materiell bedingten Individuen noch einen aparten Geist“ voraussetzen, um zur „entgegengesetzten Annahme“ einer solchen Existenz zu kommen. Marx/Engels: Deutsche Ideologie, MEW 3, S. 26.
22 Auch Ideelles kann natürlich als Gegenstand Objekt sein: fertige Gedankengebilde, Wissensbildungen, nehmen objektiven Charakter an, Herrschaftsverhältnisse, ihrer hegemonialen Seite nach usw.; das jedoch in zweiter Linie, abgeleitet. Dazu später mehr.
23 Karl Marx: Randglossen zu Adolph Wagners „Lehrbuch der politischen Ökonomie“, MEW 19, S. 362.
24 Friedrich Engels: Dialektik der Natur, MEW 20, S. 325: „Die Bewegung der Materie aber, das ist nicht bloß die grobe mechanische Bewegung, die bloße Ortsveränderung, das ist Wärme und Licht, elektrische und magnetische Spannung, chemisches Zusammengehn und Auseinandergehn, Leben und schließlich Bewusstsein.“ Bloch, der in diesem Satz das „naturphilosophische Testament von Engels“ sieht, irrt, wenn er meint, dass Engels hier „auch das Bewusstsein materiell nennt“. Die Bewegung der Materie als ihr „inhärentes Attribut“ (Engels) kann eben auch ideell sein. Engels streicht das gebührend heraus. Man stößt hier auf das Problem des kategorialen Zusammenhangs von „Materie“ und „Materiellem“, der als noch unbefriedigend geklärt gelten muss. Engels selbst weist, indem er die Bewegung als „inhärentes Attribut der Materie“ bezeichnet, auf das Substantialitätsverhältnis hin. – Ernst Bloch: Das Materialismusproblem, seine Geschichte und Substanz, Werke 7, S. 367.
25 Bei Fichte, dessen Zentralbegriff Tätigkeit ist, setzt das Ich, Subjekt, das Nicht-Ich, Objekt, als Selbstbegrenzung, die als solche Bedingung der Tathandlung und damit der Verwirklichung wird. In dieser Setzung scheint absolut-idealistisch das Moment der bloßen Andersheit wider.
26 Naturphänomene wie Erdbeben oder andere Versicherungsfälle gehören nicht in die fragliche Beziehung; Verwerfungen der Erdkruste usw. haben nicht die Bestimmung der Objektivität, sondern der Materialität, die erst in der reaktiven Tätigkeit (Katastrophendienst usw.) auf erstere zurückgeht, auch im bloß betrachtenden Schauder, der eine menschliche, sehr menschliche Tätigkeit ist.
27 Die Verwendung der Kategorie „Widerstand“ mag an Nicolai Hartmann erinnern. Aus dem unmittelbar Folgenden dürfte jedoch ersichtlich sein, dass sie hier über „Widerständigkeit“ aus „Materialität“ abgeleitet ist, also in einem dialektisch-materialistischen Zusammenhang und nicht in einem quasi vitalistischen, als „Widerstandserlebnis“ subjektiv gefassten fungiert. „Das andauernde, alles Tun begleitende Widerstanderlebnis ist eine charakteristische Grundform der Realitätsgegebenheit.“ – Nicolai Hartmann: Zum Problem der Realitätsgegebenheit, Berlin 1931, S. 23. Hartmanns „Realismus“ ist, wie Manfred Buhr trefflich-treffend bemerkt, eine „Riegelstellung gegen den philosophischen Materialismus“, eine „neu-sachliche“ Reprise der Lebensphilosophie„ „etwas materiefreundlicher“ (Bloch); Klaus/Buhr, Philosophisches Wörterbuch, 2, S. 807, Berlin 1972; Ernst Bloch, Das Materialismusproblem . . . , Werke 7, S. 310.
28 Der Gegenstand muss in dieser Hinsicht nicht wirklich, sondern kann durchaus fiktiv sein. Er kann eine Fiktion der Tätigkeit sein, eine bloße Spiegelung der Tätigkeit selbst an einer unwirklichen, phantasmagorischen, paranoiden Objektkonstruktion des Subjekts; dadurch fällt dieses tätige Verhältnis noch nicht aus seinem Begriff, da der unwirkliche Gegenstand als wirkliches Figment des Subjekts wirklichen Widerstand aufzubringen vermag. Durch das Kriterium der Praxis wird über Wirklichkeit oder Unwirklichkeit entschieden; an sich selbst hat auch das Unwirkliche seine Wirklichkeit. Das betrifft z. B. den ontologischen Status ästhetischer Bildungen, aber auch den kategorialen Gebrauch metaphorischer Setzungen.
29 „(. . .) dieser Stein ist geeignet, um einen Ast abzuschneiden, dieser Stein ist nicht geeignet. Mit dieser Wahl des Ursteins fängt die Wissenschaft an. (. . .) Es gibt also eine Realitätspriorität des Realen, wenn ich so sagen darf, und wir sollen versuchen, auf diese, meinetwegen primitiven Tatsachen des Lebens zurückzugehen und die komplizierten aus den primitiven zu begreifen.“ Lukács in: Gespräche mit Georg Lukács, Reinbek 1967, S. 11 f. Holz, der Partner in diesem Gespräch, hat den Pferdefuß dabei klopfen hören: „Ja, der Ausgangspunkt im Alltagsleben ist also die Basis etwa, eine Art von natürlichem Weltverständnis. Dilthey und Husserl haben diesen Terminus auch schon gebraucht, aber natürlich in anderem Sinne als Sie es jetzt tun“ (Ebd., S. 12). Dieses „natürliche Weltverständnis“ ist die Domäne des „gesunden Menschenverstandes“, des „ärgstens Metaphysikers“, von Engels pejorativ als Nicht-Dialektiker, als platter Positivist gemeint, von dessen Position aus es keinen Weg zum Begriff gibt. (Dem entspricht in der Politischen Ökonomie etwa das Saysche Gleichgewicht.) Das meint der „gesunde Menschenverstand“ von sich selbst, die Welt aus dem Alltagsverstand abgeleitet begreifen zu können; er landet – wie Engels in der „Dialektik der Natur“ höchst ergötzlich schildert – am Ende bei einem kruden Aggregat von Faktenhuberei und Spiritismus. Es ist eben ein Unterschied, ob man vom elementaren Nucleus eines in realer Bewegung befindlichen Verhältnisses ausgeht, um einen widersprüchlichen Prozess der Konkretion zu rekonstruieren, oder ob man diesen Nucleus als Ersatz eines Kategoriengefüges einsetzt, unaufgelöst, „empirisch aufgeklaubt“, der ohne weiteres axiomatisch fungieren soll, also eo ipso empirisch im „Leben“ oder aus dem „Leben“ heraus vergewissert ist, „seinsgegeben“ eben. Das cartesische „cogito“ bedeutet eigentlich nur die durch Zweifel vermeintlich vollbrachte Aufhebung des „gesunden Menschenverstandes“. Gassendis „ambulo“ dagegen bringt beides: a) die Denunziation dieses Vermeinens als scheinhaft, und b) die programmatische Affirmation des alltäglichen Standpunkts. Descartes wendet sich in seiner Antikritik nur gegen letzteren Gesichtspunkt, ist also nur eine Gegenaffirmation, die das Argument bloß wiederholt. Gassendis Kritik des „cogito“ als scheinhaft behält recht, indem sich schnell zeigt, wie der Alltagsverstand durch Annahme eines Dualismus von res cogitans und res extensa, jetzt unter der Tarnkappe eines Gottes, den Laden ohne weiteres mathematisch-naturwissenschaftlich wieder übernimmt, das ganze „cogito“ eigentlich nur als Persilschein positiver Erkenntnis verwendet.
30 Der Grundsatz Spinozas: „Omnis determinatio est negatio“ ist nicht nur logisch gedacht, da es sich bei dieser negatio um eine ontische privatio handelt, d. h. um eine Herabstufung im Wirklichkeitsgrad. Dialektisch ist sie darin zugleich eine Heraufsetzung, eine potentielle Konkretion – durch Abstraktion; potentiell deshalb, weil ihre Aktualität erst in der ganzen Folge sich herstellt. Vgl… Wolfgang Schmidt: Intuition und Deduktion, vornehmlich Kapitel 2: Die Dialektik der deduktiven Folge. In: Klaus Peters/Wolfgang Schmidt/Hans Heinz Holz: Erkenntnisgewissheit und Deduktion, Darmstadt 1975, S. 80 ff.
31 Die hier angesprochene Problematik der Universalien kann an dieser Stelle natürlich nicht entfaltet werden.
32 In berechtigter Reaktion gegen die oben kritisierte grobe Gleichsetzung des Subjekt-Objekt- Verhältnisses mit dem von „Materie und Bewusstsein“, das in der „Grundfrage“ geklärt sein sollte, sind marxistische Autoren der älteren dialektisch-materialistischen Literatur über das Ziel hinausgeschossen und auf subjektivistische Positionen geraten. Es handelt sich in dieser Sichtweise um ein Verhältnis wechselseitiger Bedingtheit und Vermittlung, in dem nichts primär oder sekundär ist. Damit wird das Moment der Subjektabhängigkeit des Objekts verabsolutiert, indem es in die Schwebe gebracht wird, und damit der Begriff der Objektivität subjektivistisch aufgelöst, also die Materialität aus dem Objekt geworfen. Dass auf dieser Basis eine Theorie der Erkenntnis als Widerspiegelung nicht zu halten ist, liegt auf der Hand. Wenn nämlich Erkennen eine Subjekt-Objekt-Beziehung realisiert, was wohl kaum streitig ist, und das Objekt prinzipiell subjektabhängig ist, daher keinen Primat gegenüber dem Subjekt (hier der Erkenntnis) hat, kann dieses Erkennen nicht als Widerspiegelung begriffen werden, sondern fällt in die reine Spontaneität des Subjekts. Widerspiegelung impliziert Unabhängigkeit des Widergespiegelten vom Widerspiegelnden, die beide sich nur im Spiegelbild treffen, wobei der „Spiegel“ selbst in den Prozess gezogen ist. Wenn also – kurz gesagt – für das Subjekt-Objekt-Verhältnis überhaupt gelten soll, dass in ihm nichts primär und nichts sekundär ist, fällt Erkennen entweder nicht unter das Subjekt-Objekt-Verhältnis oder kann nicht als Widerspiegelung verstanden werden. Diese Schwierigkeiten sind in der damaligen Literatur durchaus bemerkt, jedoch nicht befriedigend gelöst worden. Siehe vor allem: Alfred Kosing: Karl Marx und die dialektisch- materialistische Abbildtheorie. In: Deutsche Zeitschrift für Philosophie, Sonderheft 1968; und Fr. Richter, Deutsche Zeitschrift für Philosophie, Heft 8/1972.
33 Rezeption wird hier ohne Umstände unter Tätigkeit subsumiert, zunächst deshalb, weil es eine pure Rezeptivität überhaupt nicht gibt. Dies ist eine Fiktion der Erkenntnispsychologie. Das Rezeptionsvermögen mit der Summe seiner Leistungen ist durch eine quasi unabsehbare Kette von vergangenen und gegenwärtigen Tätigkeiten konstituiert, die in ihm wirkend aufgehoben sind. (Helmuth Plessners Einwände gegen Nicolai Hartmanns „Transzendenz“ emotionaler „Akte“ wären ein eigenes Thema und gehören nicht hierher. Hartmann (1931): Zum Problem der Realitätsgegebenheit, a.a.O. S. 49 ff., 90 f.)
34 Engels bezeichnet die Bewegung als „inhärentes Attribut“ der Materie. Engels: Dialektik der Natur, MEW 20, S. 354.
35 Todor Pawlow fußt mit seiner Konzeption der universellen Widerspiegelung, die eine Bestimmung der universellen Wechselwirkung ist, direkt auf Lenin; die Konzeption des wechselwirkenden Gesamtzusammenhangs stammt von Engels: seine Dialektik der Natur beruht darauf. Wenn Holz, seinerseits Pawlow aufnehmend, bewusstseinsmäßige, ideelle Widerspiegelung als „Sonderfall“ eines „allgemeinen ontologischen Prinzips“ fasst, folgt er damit Engels und Lenin. Claudius Vellay, der Holz dessen Insistenz auf den „Gesamtzusammenhang“ ankreidet, vornehmlich die „universelle Reflexion“, die Vellay zufolge eine zur „Seinskategorie“ aufgeblähte, „par excellence Bewusstseinsprozesse bezeichnende ideelle Widerspiegelung“ ist, trifft damit jene Herren, wenn er Holz treffen will. Dagegen ist von vornherein natürlich nichts zu sagen; die Kritik an Holz muss aber entsprechend weiter ausholen, um zu taugen. Für Lenin ist „anzunehmen, dass die ganze Materie eine Eigenschaft besitzt, die dem Wesen nach der Empfindung verwandt ist, die Eigenschaft der Widerspiegelung“. Siehe: T. Pawlow: Die Widerspiegelungstheorie, Berlin 1973; Hans Heinz Holz: Weltentwurf und Reflexion, Stuttgart/Weimar 2005, S. 100 u.ö.; Claudius Vellay, Hans Heinz Holz’ metaphysische Idee des Gesamtzusammenhangs, in: Aufhebung 3/2013, S. 28 f.; Lenin: Materialismus und Empiriokritizismus, LW 14, S. 85.
36 Marx: Ökonomisch-philosophische Manuskripte, MEW, Erg.-Bd. 1, S. 541 ff.
Literatur
Autorenkollektiv (1971): Grundlagen der marxistisch-leninistischen Philosophie, Berlin.
Bloch, Ernst (1972): Das Materialismusproblem. Seine Geschichte und sein Substanz, in: Bloch: Werke 7, Frankfurt am Main: Suhrkamp.
Engels, Friedrich: Anti-Dühring, MEW 20, Berlin. Engels, Friedrich: Dialektik der Natur, MEW 20, Berlin.
Engels, Friedrich: Ludwig Feuerbach und der Ausgang der klassischen deutschen Philosophie, MEW 21.
Hartmann, Nicolai (1931): Zum Problem der Realitätsgegebenheit, Berlin.
Hegel, G. W. F. (1970): Geschichte der Philosophie III, in: Werke in zwanzig Bänden, hg. von Eva Moldenhauer und Karl Markus Michel, Frankfurt am Main Band 20.
Holz, Hans Heinz (2005): Weltentwurf und Reflexion, Stuttgart: Metzler.
Husserl, Edmund (1950): Ideen 1, Husserliana III, Haag.
Ingarden, Roman (1921): Über die Gefahr einer Petitio Principii in der Erkenntnistheorie, in: Jahrbuch für Philosophie und Phänomenologische Forschung IV, Halle.
Klaus, Georg/Buhr, Manfred (1972): Philosophisches Wörterbuch, Berlin. Kosing, Alfred (1968): Karl Marx und die dialektisch-materialistische Abbildtheorie, in: Deutsche Zeitschrift für Philosophie Sonderheft.
Lenin, W. I.: Materialismus und Empiriokritizismus, LW 14.
Marx, Karl: Kapital 1, MEW 23. Berlin.
Marx, Karl: Kapital 1, Nachwort zur 2. Auflage, MEW 23. Berlin.
Marx, Karl: Ökonomisch-philosophische Manuskripte, MEW, Ergänzungsband. 1. Berlin.
Marx, Karl: Randglossen zu Adolph Wagners „Lehrbuch der politischen Ökonomie“, MEW 19. Berlin.
Marx, Karl: Thesen über Feuerbach. MEW 3. Berlin.
Marx, Karl/Engels, Friedrich. Die Deutsche Ideologie, MEW 3. Berlin.
Nelson, Leonard (1918 [1911]): Die Unmöglichkeit der Erkenntnistheorie (1911). In: Die Reformation der Philosophie, Leipzig.
Nelson, Leonard (1931): Über das sogenannte Erkenntnisproblem, Göttingen.
Pawlow, Todor (1973): Die Widerspiegelungstheorie, Berlin.
Pinkus, Theo (Hg.) (1967): Gespräche mit Georg Lukács, Reinbek.
Schmidt, Wolfgang (1975): Intuition und Deduktion, in: Klaus Peters/Wolfgang Schmidt/Hans Heinz Holz, Erkenntnisgewissheit und Deduktion, Darmstadt.
Vellay, Claudius (2013): Hans Heinz Holz’ metaphysische Idee des Gesamtzusammenhangs – Eine kritische „Dekonstruktion“ vor dem Hintergrund der Ontologie von Georg Lukács, in: Aufhebung # 3.