
Andreas Egger, Salzburg
Die „Gesellschaftliche Natur des Menschen“
Vor 30 Jahren erschien Klaus Holzkamps „Grundlegung der Psychologie“
Zerschlagen und Grundlegen
Hannover im Jahr 1969: es tagte der „Kongress für kritische und oppositionelle Psychologie“ und erteilte der zur Debatte stehenden Wissenschaft ein vernichtendes Urteil, sie sei „traditionell und perspektivisch eine Wissenschaft, die systembedingte Konflikte zu eliminieren oder zu integrieren versucht“. Daher die Schlussfolgerung: „Zerschlagt die Psychologie“.2
Dies nicht nur um etwas Zeitgeist zu schnuppern, sondern auch, um einen Pol im Umgang von „kritisch-emanzipatorischer“ Seite her zu markieren; im Folgenden geht es allerdings um den gegenteiligen Pol, nicht um eine Zerschlagung, sondern um eine „Grundlegung der Psychologie“ – so der Titel des vor 30 Jahren erschienen wohl zentralen Dokumentes der „Kritischen Psychologie“.3
Der Vollständigkeit halber: Neben der hier vorgestellten Richtung, geschrieben mit „großem K“, gibt es noch eine Reihe anderer kritisch- psychologischer Richtungen, geschrieben mit „kleinem k“. Diese, wie etwa die „kritische Theorie des Subjekts“, sind vorwiegend Versuche, die Gesellschaftstheorie des Marxismus mit der Psychoanalyse zu vereinen.4 Die von Klaus Holzkamp repräsentierte Richtung speist sich psychologiegeschichtlich aber aus andern Quellen und hat auch andere Schwerpunkte und Herangehensweisen.
Quellen und Vorarbeiten
Als das Buch 1983 erschienen war, hatte die – im engeren Sinne5 – „Kritische Psychologie“ bereits eine zehnjährige Entwicklung hinter sich. Die „Grundlegung“ versteht sich daher auch als Synthese von mehreren innerhalb der „Kritischen Psychologie“ geleisteten Vorarbeiten. Die drei umfangreichsten seien hier exemplarisch erwähnt: Holzkamps Monographie zur Wahrnehmung mit dem Titel „Sinnliche Erkenntnis“6 war die erste ausgereifte Kritisch-Psychologische Arbeit. Volker Schurig veröffentlichte ab 1975 eine dreibändige Naturgeschichte des Psychischen7 bis hin zur Entstehung des menschlichen Bewusstseins. Die zwei Bände von Ute Holzkamp-Osterkamp zu Motivation und Emotionalität8 haben auch auf Grund der darin enthaltenen Auseinandersetzung mit der Psychoanalyse und der Verhaltensforschung ihren für die Entwicklung der Schule bedeutsamen Stellenwert.
Auch einige „externe“ Quellen sollen hier skizzenhaft erwähnt werden: da ist einmal der französische Philosoph Lucien Sève – wenn auch manchmal eher kritisch rezipiert. Sein Buch „Marxismus und Theorie der Persönlichkeit“9 behandelt vor allem die Sichtweise des Verhältnisses von Individuum und gesamtgesellschaftlicher „Infrastruktur“ – in der Kritischen Psychologie später zum Konzept von „Position“ und „Lebenslage“ erweitert. Sève weist noch weiter zurück auf Georges Politzer10, dessen ansonsten heute vergessener Ansatz einer „konkreten Psychologie“, einer Psychologie des „Dramas der Individuen“, wirkt nach in Holzkamps Forderung nach einer „Psychologie der ersten Person“, einer Individualwissenschaft nicht über, sondern für ein Subjekt, ein „je mir“.
Der wesentlichste Bezug der Kritischen Psychologie auf bereits vorhandene Systeme allerdings war eine spezifische Richtung der sowjetischen Psychologie: die „Kulturhistorische Schule“11, eine Disziplin, welche konsequent die Bedeutung der „Kultur“, der gesellschaftlich-historischen Entwicklung, für den Mensch-Welt- Zusammenhang betont. Auf die herausragende Bedeutung besonders von A.N. Leontjew (dem die „Grundlegung“ gewidmet ist) werde ich weiter unten eingehen.
Kritische Psychologie und dialektische Philosophie
Warum aber eine Würdigung der „Grundlegung der Psychologie“ in einer philosophischen Zeitschrift? Ein Blick auf die Struktur der neun Kapitel des Buches12 gibt darauf eine erste Antwort. Neben einem einleitenden methodischen und methodologischen Kapitel und zwei abschließenden im engeren Sinn einzelwissenschaftlich-psychologischen gibt es zwei große Blöcke: einer behandelt die Psychophylogenese, verstanden als „Naturgeschichte“ des Psychischen, der andere die Grundbestimmungen des Psychischen unter gesellschaftlich- historischen Bedingungen. Dazwischen liegt ein Kapitel, welches die Notwendigkeit dieses Wechsels der Analyseebene begründet. In dieser Struktur widerspiegelt sich der Verweis von psychologischen Fragestellungen hin auf „außerpsychologische“, philosophische Ebenen, auf ein Natur-, Menschen- und Gesellschaftsbild. Holzkamp macht diese in der Folge transparent und nennt „vier verschiedene Bezugsebenen …, auf denen sich die Kritische Psychologie ‚kritisch‘ gegenüber traditionell-psychologischen Positionen verhält“.13
Die allgemeinste Ebene („philosophische Ebene“) wäre die materialistische Dialektik. Die zweite Ebene darüber („gesellschaftstheoretische Ebene“) wäre der Historische Materialismus, also die auf die gesellschaftlich- historischen Besonderheiten hin entwickelte Spezifizierung der Dialektik. Dem folgt die „kategoriale Ebene“, also jenes Feld von gegenstandsdefinierenden Grundbegriffen, welche somit auch methodologisch die vierte Ebene („einzeltheoretische Ebene“) der aktual-empirischen Forschung mitbestimmen.
Dass eine Wissenschaft wie die Psychologie nicht nur eine – selbstverständlich – einzelwissenschaftliche, empirisch zu erforschende Ebene hat, sondern auch eine „kategoriale“, wird noch nicht weiter irritieren. Auch in anderen Schulen der Psychologie gibt es wohl immer ein Set von Grundbegriffen, welche die einzeltheoretische Forschung bestimmen und gliedern: Triebe, Libido in der Psychoanalyse; „Reiz/ Reaktion“, „Denken“ „Lernen“ usw.
Die beiden philosophischen Ebenen sind natürlich strittiger, es mag mit guten Argumenten problematisiert werden, ob eine Einzelwissenschaft diese für ihre Grundbegriffe und Forschungen wirklich braucht, ja ob diese nicht erkenntnishemmend sein könnten. Es kann aber auch mit guten Argumenten gegengehalten werden: Wie kann eine Wissenschaft vom Menschen in seiner gleichwohl natürlichen wie gesellschaftlichen Spezifik ohne Bezüge zu einem Natur- bzw. Gesellschaftsbild betrieben werden? Wo diese Ebenen ausgeblendet werden, geschieht dies wohl nicht straflos, wo diese Bezüge nicht reflektiert und explizit deklariert sind, gehen sie womöglich, implizit und unreflektiert, als „verborgene anthropologische Voraussetzungen“14 ein.
Wenn also Natur-, Gesellschafts- und Menschenbild der materialistischen Dialektik sozusagen die „Grundlage der Grundlegung“ bilden, sollte dieses Verhältnis nicht als Einbahnstraße gesehen werden. Ich vertrete hier die Ansicht, dass die Kritische Psychologie auch zum philosophischen Verständnis des Mensch-Welt-Zusammenhangs Substanzielles zu sagen hat. Wenn beispielsweise Hans Heinz Holz für ein dialektisches Weltmodell unverzichtbare Problemfelder nennt, so würde ich hier mindestens zwei im eben skizzierten Zusammenhang von herausragender Bedeutung sehen: „Der Übergang von der Natur- zur Menschheitsgeschichte. Die Basisfunktion der Arbeit.“ Und: „Die Konstitution des historischen Subjekts: anthropologisch, gesellschaftstheoretisch“.15
Die These vom paradigmatischen Charakter
Nun aber zurück zur „Kategorialen Ebene“, der Ebene der Grundbegriffe. In ihr liegt gemäß Klaus Holzkamps nicht unbescheidener Aussage, die Kritische Psychologie sei nicht nur eine weitere Schule der Psychologie, sondern eine vom Erkenntnisgehalt her höhere Stufe, der Hauptbeitrag der Kritischen Psychologie dazu. Ansatzpunkt ist eine kritische Schau, eine Aufzählung der vorhandenen psychologischen Grundbegriffe, des Gegen- und Nebeneinanders von Trieb, Bedürfnis, Reiz-Reaktion, Erleben und Verhalten usw. und des Unvermögens aller dieser in den Begriffen sich spiegelnden Richtungen, ihre „Gegenstandsadäquatheit“ zu dokumentieren. Wir wissen, dass sich hier als radikalste Form die behavioristische Variante einer „Psychologie ohne Bewusstsein“ herausbilden konnte. Die „Grundlegung“ soll also den Weg aus diesem „Eklektizismus“ hin zu einem einheitlichen „gegenstandsadäquat gegliederte(n) System kategorial-methodologischer Bestimmungen“16 weisen.
„Die Kritische Psychologie ist real, insbesondere aber nach den in ihr liegenden Möglichkeiten, ein besonders dezidierter und m.E. der entschiedenste Beitrag, auf der Grundlage materialistischer Dialektik für die Individualwissenschaft bzw. Psychologie … eine kategoriale Basis zu entwickeln, die den Charakter eines wissenschaftlichen Paradigmas hat“. 17
Holzkamp nennt dieses Paradigma bisweilen auch ein „historisches“, weil es sich aus zwei unterschiedenen geschichtlichen Prozessen ableitet: „Dieses Kategoriensystem muß dabei so qualifiziert und strukturiert sein, daß der Zusammenhang der individuellen psychischen Entwicklung der Menschen mit der übergeordneten naturgeschichtlichen und gesellschaftlich-historischen Entwicklung angemessen und differenziert aufgewiesen werden kann.“18
Die Entstehung des Psychischen
Es wird nicht überraschen, dass die erste Kategorie, die in der „Grundlegung“ expliziert wird, die für die Einzelwissenschaft Psychologie „gegenstandskonstituierende“ ist. Wer eine „Lehre vom Psychischen“ betreibt, muss wissen, was das Psychische ist.
Hier erfolgt nun auch einer der vielen Bezüge zur „Kulturhistorischen Schule“, zu ihrem vielleicht bekanntesten Vertreter A.N. Leontjew, welcher das evolutionäre Auftauchen des Psychischen als notwendige Funktion in einem sich ausdifferenzierenden Organismus-Umwelt-Zusammenhang bestimmt. Die „Vergegenständlichung der Lebensprozesse … bedeutet auch das Auftauchen elementarer Formen der psychischen Widerspiegelung – die Umwandlung der Reizbarkeit (irribilitas) in Empfindungsvermögen, Sensibilität (sensibilitas)“.19 Die Reizbarkeit als allgemeine Lebenserscheinung ist ausgerichtet auf Einwirkung mit „direkter biotischer Bedeutung“. Die Sensibilität als elementare Form des Psychischen ist eine Form der Reizbarkeit gegenüber Einwirkungen, die „an und für sich neutral, abiotisch sein können“, die aber auf die Einwirkungen der ersten Art orientieren. 20
So verstanden ist Psychisches die Fähigkeit der Organismen zu „signalvermittelter Lebenstätigkeit“. Eine Fliege dient einem Frosch als Nahrung („direkte biotische Bedeutung“), ihr an und für sich stoffwechselneutrales Summen aber wird für den Frosch zum Signal, welches ihn auf die eigentliche biotische Bedeutung hin orientiert – das wäre ein verdeutlichendes Beispiel, welches auch Leontjew verwendet.21
Diesen Ansatz Leontjews, den Holzkamp die „Ausgangsabstraktion des Psychischen“ nennt, wurde in der „Grundlegung“ nun methodologisch ausgebaut und verallgemeinert – zum so genannten Fünferschritt der Analyse der Entstehung und Ausdifferenzierung neuer Funktionen in der Psychophylogenese. Die hier folgende, notwendigerweise sehr geraffte Darstellung darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass es sich um einen Vorgang handelt, der sich über viele Millionen Jahre hingezogen hat. Speziell bei der Analyse der Entstehung des Psychischen ist die notgedrungene Lückenhaftigkeit des Verfahrens zu bedenken, da die Reihe der Organismen, welche die Psychogenese ursprüngliche getragen hat, ausgestorben ist. Dennoch bleibt, da das „Endresultat Psychisches“ ja vorliegt, die Annahme eines „sich über längere Zeiträume erstreckende(n) psycho-physisches Übergangsfeld(es)“ zwingend.22
Im ersten dieser Analyseschritte geht es darum, die Ausgangsbedingungen und Voraussetzungen der Entwicklung einer neuen Funktion zu benennen: „Aufweis der realhistorischen Dimensionen innerhalb der jeweils früheren Stufe, auf denen der qualitative Umschlag sich vollzieht“23. Das wäre auf vorpsychischem Niveau die „selektive Reizbarkeit“ der Organismen, also die Möglichkeit, zwischen stoffwechselrelevanten und irrelevanten Einwirkungen zu unterscheiden. Dazu ist die Fähigkeit zu ungerichteten Ortsveränderungen (Kinesen) ausgebildet.
In einem zweiten Schritt geht es um Veränderungen in den Lebensbedingungen, die einen „evolutionären Druck“ in Richtung der Entwicklung der neuen Funktion bedeuten, verstanden als “Entwicklungswiderspruch, durch welchen die neue Qualitätsstufe in evolutionärer Progression hervorgebracht werden kann“24.
Könnten wir uns so hier vorstellen, dass erstens allmählich ein lebensfeindliches Niveau durch Verdünnung der Nahrungsquellen entsteht, zweitens das Vorkommen dieser Nahrungsquellen aber in einem hinreichend konstanten Verhältnis zu einer an sich stoffwechselneutralen Gegebenheit steht – etwa dem Sammeln um Lichtquellen. Damit entsteht ein „Selektionsdruck“, die beiden Funktionen Reizbarkeit und „ungerichtete Ortsveränderung“ in dem Sinne zusammenzuschließen, dass diese stoffwechselneutralen Gegebenheiten als Signale für die Nährstoffe ausgewertet werden, auf welche die Organismen nun mit einer gerichteten Bewegung (Taxie) reagieren.
Holzkamp spricht hier im dritten Schritt und wiederum in Bezugnahme auf die Dialektik von einem „Funktionswechsel“ als „ersten qualitativen Sprung der Herausbildung der Spezifik der neuen Funktion unter den veränderten Außenweltbedingungen“25. Zunächst steht die neue Funktionalität der signalvermittelten noch in untergeordneter Funktion, doch erhöht sich evolutionär ihre Bedeutung, weil sie ja einen Selektionsvorteil darstellt: Erfolgreicheres Auffinden der Nahrung, effizienterer Energieverbrauch bei gerichteten im Vergleich zu ungerichteten Ortsveränderungen. Deshalb setzt sie sich im Rahmen einer Parallelentwicklung allmählich durch.
Der vierte Schritt wäre somit der „Aufweis des Dominanzwechsels zwischen der für die frühere Stufe charakteristischen Funktion und der neuen Funktion, womit durch einen zweiten qualitativen Sprung die qualitativ spezifische Funktion auch die für die gesamte Systemerhaltung bestimmende Funktion wird.“26
Im fünften Analyseschritt, nachdem also die neue Funktion für die Systemerhaltung dominierend geworden ist, geht es um den „Aufweis der Umstrukturierung und neuen Entwicklungsrichtung des Gesamtsystems“.27Die Entstehung des Psychischen hat nun den Organismus-Umwelt-Zusammenhang geöffnet für eine weitere Ausdifferenzierung kognitiver und emotionaler Funktionen. Eine dieser „neuen Entwicklungsrichtungen“ wäre die evolutionäre Herausbildung und Entwicklung von Lernfähigkeit der Organismen, welche Inhalt des zweiten Fünferschritts in der „Grundlegung“ ist.
Die Entstehung der Gesellschaftlichen Natur des Menschen
Wir steigen aber wieder ein beim dritten in der Grundlegung dargestellten Fünferschritt, welcher allerdings ein ausnehmend besonderer ist – es geht um den „Abschluss“ der naturgesetzlich gesteuerten Psychophylogenese hin zur Herausbildung einer neuen, der „gesellschaftlichen Natur“ des Menschen.
Wir betreten das „Tier-Mensch-Übergangsfeld“ und wieder geht es zunächst darum, in einem ersten von wieder fünf Analyseschritten jene Dimensionen aufzuweisen, die in der Folge die Evolution von Primaten über Hominiden28 hin zum Menschen einleiteten. Diese wären in der Argumentation Holzkamps die „Entwicklung der Manipulationsfähigkeit mit ‚Mitteln‘ und des individualisierten Sozialkontaktes im Biotop des Regenwaldes“29. Das „Schwing-Hangel-Klettern“, die spezielle Fortbewegungsart in eben jenem Lebensraum, bedingte die Fähigkeit zu einer relativen, zeitweiligen Aufrichtung des Körpers, dies wiederum wurde die „Voraussetzung für einen von der Fortbewegungs- bzw. Abstützfunktion temporär entlasteten Gebrauch der Vorderextremitäten, die sich dabei evolutionär zu ‚Händen‘ differenzierten.“30 Dies ermöglichte den Gebrauch und die Manipulation von vorwiegend vorgefundenen Mitteln wie Stöcken, Halmen oder Steinen zur Nahrungsbeschaffung. Diese frühen Formen der Mittelbenutzungen gingen einher mit einer weiteren Differenzierung der Sozialbeziehungen bis hin zu einer Teilung und Koordinierung von z.B. Jagd-Aktivitäten31; auch hierbei spielt die Körperaufrichtung eine Rolle. Zudem: „Die Möglichkeiten des kommunikativen Signalaustauschs erhöhten sich, wobei durch die Körper-Aufrichtung der Kopf als ‚Signalträger‘ eine zunehmende Bedeutung gewann“32.
Die – hier folgt Holzkamp den gängigen Thesen – Verdrängung des Biotops Regenwald durch Grassteppe und Savanne brachte den „evolutionären Druck“ in Richtung zu Bipedie und entlastetem Handgebrauch. Der „Entwicklungswiderspruch“, also der zweite Analyseschritt, versteht sich unter folgenden Konstellationen: „Verknappung von Nahrungsmitteln, keine Ausweichmöglichkeit vor Raubfeinden auf Bäume, Notwendigkeit der Kontrolle großer Gebiete zur Nahrungssuche und Feindabwehr, hoher Grasstand, etc.“.33
Ein „Funktionswechsel“ im Mittelgebrauch liefert nach Holzkamp den Schlüssel für das Verständnis des ersten qualitativen Sprungs in der Menschwerdung: „‚Zweck-Mittel-Verkehrung‘ bei sozialer Werkzeugherstellung durch Einbeziehung in funktionsteilige Aktivitäten verallgemeinerter Vorsorge (dritter Analyseschritt)“34. Der Gebrauch von Werkzeugen verliert in diesem Prozess seinen situationsabhängigen/zufälligen Charakter, „indem die ‚Mittel‘ nicht erst angesichts des ‚primären‘ Bedarfsziels, sondern in verallgemeinerter Weise zur Erreichung einer bestimmten Art von Bedarfszielen überhaupt, sozusagen ‚für den Fall‘, daß ein spezifisches Bedarfsziel angestrebt wird, ausgewählt und zugerichtet werden. …Der entsprechend hergerichtete Stock … dient so nicht mehr als Mittel zur Beschaffung einer bestimmten Frucht, sondern als Mittel zum verallgemeinerten Zweck der Früchtebeschaffung“35 .
Auch an dieser Stelle sei es kurz erlaubt, auf die Problematik der hier leider notwendigen gerafften Darstellung hinzuweisen. Wir können uns aus heutiger Sicht wohl nur unzureichend vorstellen, welche immense Mühe Frühmenschen aufwenden mussten, einen Faustkeil zu schärfen, Schaber und Nadeln zu erzeugen oder gar eine Öse für die Herstellung einer Axt in einen Stein zu bohren. Dennoch wurden diese Aktivitäten auf sich genommen, weil ein weit in der Zukunft liegendes Ziel der Tätigkeit „Werkzeugbau“, die Befriedigung der Bedürfnisse nach Nahrung, antizipiert werden konnte. Hinter der Formel „Zweck-Mittel-Verkehrung“ verbirgt sich also ein gewaltiger Umbruch in kognitiver und emotionaler Hinsicht.36
Das Werkzeug verliert seinen situativen Charakter, es wird erzeugt und aufbewahrt. Im Werkzeug und in der adäquaten Weise des Umgangs mit ihm und seiner Erzeugung vergegenständlicht und kumuliert sich Wissen über die Welt, sowohl in einem „Brauchbarkeitsaspekt“ wie auch im „Erzeugungsaspekt“. Werkzeuge verweisen auch auf eine „soziale Verallgemeinerung“: stehen sie doch „den Mitgliedern des Sozialverbandes ‚für den Fall‘, daß sie gebraucht werden, zur Verfügung“37.
„Die Entfaltung der sozialen Werkzeugherstellung zu gesellschaftlicher Arbeit bis zum Umschlag von der Dominanz der Phylogenese zur Dominanz der gesellschaftlich-historischen Entwicklung“38 bildet den vierten Analyseschritt.
Holzkamp nimmt nun an, dass die phylogenetisch basierte Lebensweise und die sich aus dieser Keimform entwickelnde neue, zur Gesellschaftlichkeit hinweisende, wiederum parallel liefen, ja dass in dieser Phase der Menschwerdung die Selektionsvorteile der sich immer mehr kumulierenden gesellschaftlichen Entwicklung noch evolutionär auf die genomische Information zurückwirkte. Aber auch hier kommt es zum Dominanzwechsel „des (in der Größenordnung von Jahrhunderttausenden sich vollziehenden) phylogenetischen Prozesses zur Dominanz eines durch die Möglichkeit geplanter Verbesserung der kollektiven Lebenssicherung der Selektionswirkung enthobenen, damit selbständige Kontinuität gewinnenden gesellschaftlich-historischen Entwicklungsprozesses“39.
Mithin entsteht also eine Lebensweise, welche durch vergegenständlichende Erfahrungsakkumulation eine Entwicklungsoptimierung in ungleich höherem Tempo ermöglicht, und somit „den Prozeß der selektionsbedingten organismischen Merkmalsveränderungen schon durch die vergleichsweise unendliche Langsamkeit faktisch bedeutungslos werden ließ“40. Dies bedeutet nichts anderes, als dass sich auf dieser Stufe die biologische Evolution selbst außer Kraft gesetzt hat.
Der fünfte Analyseschritt, die neue Entwicklungsrichtung des „Gesamtprozesses“ nach dem Dominanzwechsel, scheint in der „Grundlegung“ zunächst vielleicht überraschend nur kurz skizziert. Tatsächlich handelt es sich hier aber nicht nur um einen historischen, sondern auch um einen aktuellen, einen „unabgeschlossene(n) Prozeß zunehmender Vergesellschaftung“.41 Insofern ist der gesamte folgende Teil der Grundlegung, der sich mit der Entwicklung der Kategorien für das spezifisch menschliche Lebensniveau beschäftigt, Teil dieses Analyseschrittes.
„Durch die Produktion von Lebensmitteln traten die Menschen in einem bisher nicht gekannten Ausmaß aus der Natur heraus und ihr durch deren geplante Veränderung gegenüber, was zu tiefgreifenden Wandlungen der sozialen Lebensformen, Kommunikations-und Denkweisen führen mußte. Die Ausgeliefertheit an aktuelle, ‚zufällige‘ Naturverhältnisse wurde in neuer Qualität in Richtung auf die Umwandlung der Natur in eine ‚menschliche Lebenswelt‘, die auf konsistente und vorhersehbare Weise die Lebensnotwendigkeiten der Gesellschaftsmitglieder absichert, überwunden.“42
Hier wäre nun auch die Stelle, an die oben gestellte Frage nach dem Verhältnis von Dialektischer Philosophie und Kritischer Psychologie zu erinnern.
„Der Mensch gewinnt auf dem phylogenetischen Wege zur Dominanz des gesellschaftlichen Prozesses – nicht in einem metaphorischen, sondern im wörtlichen Sinne – seine ‚gesellschaftliche Natur‘, d.h. natürliche Entwicklungspotenz zur Gesellschaftlichkeit“43.
Hier hätten wir nun einen aus der Kritischen Psychologie heraus entwickelten Beitrag zu den von Hans Heinz Holz genannten Fragestellungen des Verhältnisses von Natur- und Gesellschaftsgeschichte und zur Bedeutung der Arbeit als wesentlicher Problemfelder der Dialektik.
Gesamtgesellschaftliche Vermitteltheit des Individuums
Der zuletzt beschriebene „Dominanzwechsel“ ist – wie beschrieben – kein Wechsel zu einem anderen, neuen Niveau naturgeschichtlicher Entwicklung, es ist ein Sprung zu einem neuen Typus von Entwicklung, der „nicht mehr durch Evolutionsgesetze und durch die Differenzierung und Verdichtung genomischer Information bedingt, sondern durch die vom Menschen geschaffenen gegenständlich- sozialen Verhältnisse getragen ist“44.
Jedes konkrete Individuum muss „stets in irgendeinem Sinne die Teilhabe an der Verfügung über den gesamtgesellschaftlichen Produktions- und Reproduktionsprozeß, von dem die je individuellen Lebensbedingungen abhängen,“45 sicherstellen – handlungsfähig sein und bleiben, womit wir bei der zentralen Kategorie der Kritischen Psychologie für die Bestimmung der Spezifik menschlichen Lebens wären.
Diese Bestimmung von Handlungsfähigkeit als „praktische Verfügung des Menschen über seine Lebensbedingungen“46 ist auch der Schlüssel zum Verständnis der Kritisch-Psychologischen Theorie der Bedürfnisse. Die Bedürfnisgrundlage, die Handlungsfähigkeit aufrechtzuerhalten oder zu erlangen, wird mit dem Terminus „produktive Bedürfnisse“ benannt. Die produktiven Bedürfnisse sind keinesfalls als ein Bedürfnis „zu produzieren“ zu verstehen, es geht vielmehr um Absicherung der Handlungsfähigkeit zur Sicherung von „Lebenserfüllung und Daseinsgenuss“, sie haben vorsorgenden Charakter für die Befriedigung der so genannten „sinnlich-vitalen“ Bedürfnisse, welche „in Abhängigkeit vom Grad der Handlungsfähigkeit, damit ,produktiven‘ Bedürfnisrealisierung, ihre ‚menschliche‘ Befriedigungsqualität im Zusammenhang der gesamtgesellschaftlichen Entwicklung, Sicherung, Formung von Befriedigungsmöglichkeiten etc. gewinnen“.47
Auf den ersten Blick mag das an eine Hierarchisierung von Bedürfnissen gemäß etwa der Maslow’schen Bedürfnispyramide48 erinnern. Tatsächlich aber sind beide Bedürfnisdimensionen ineinander „verschränkt“. Menschliche Bedürfnisse haben also immer einen sinnlich- vitalen und einen produktiven Aspekt. Holzkamp erläutert dies am Beispiel des Hungers:
„Wenn also ein menschliches Individuum beispielsweise durch ‚Hunger‘ als ‚sinnlich-vital‘ beeinträchtigt oder gefährdet charakterisierbar ist, so leidet es nicht nur isoliert ‚Hunger‘ als spezielle Bedürfnis-Spannung, sondern es leidet darin und gleich elementar an seiner Ausgeliefertheit an eine Situation, in welcher es so weitgehend von der vorsorgenden Verfügung über seine eigenen Lebensbedingungen abgeschnitten ist, daß es ‚hungern‘ muß: Seine Bedürfnisse haben damit nicht nur den ‚sinnlich-vitalen‘ Akzent als subjektive Notwendigkeit der Beseitigung des Hungerns, sondern als ‚menschliche‘ Bedürfnisse auch den ‚produktiven‘ Akzent als subjektive Notwendigkeit der Wiedererlangung eines Grades bewußter Bedingungsverfügung, durch welchen das Individuum auch über die Befriedigungsquellen so verfügt, daß ein Leben nicht nur ohne Hunger, sondern ohne die fremdbestimmte Bedrohtheit durch Hunger, also ein menschenwürdiges Leben, möglich ist.“49
Schlussbemerkungen
Wie wäre nun der selbstgesetzte „paradigmatischen Anspruch“ zu bilanzieren? Offensichtlich wurde dieser nicht eingelöst, die „Kritische Psychologie“ hat keine neue wissenschaftshistorische Etappe eingeleitet. „Angesagte Revolutionen finden eben nicht statt“, wäre aber eine zu billige Interpretation, deshalb noch einige Gedanken in diesem Zusammenhang.
Erstens: Im geschilderten „Historischen Herangehen“ und im Konzept der „gesellschaftlichen Natur des Menschen“ liegt meines Erachtens tatsächlich ein potentielles Paradigma begründet, auch wenn dieses nicht eingelöst werden konnte. Noch einmal kurz zusammengefasst:
„Die Fähigkeit, Gesellschaften zu bilden und sich in ihnen zu entwickeln, muß ein evolutionäres Resultat sein. Zugleich bedeutet dies, daß sich Vorformen humanpsychischer Leistungen bei Tieren und insbesondere bei Primaten finden lassen müssen. Ein Abgleiten der Forschung in Biologismus verhindert man dadurch, daß man sorgfältig die Unterschiede zwischen biologischer und historisch-gesellschaftlicher Entwicklung herausarbeitet.“50
Diese oder eine ähnliche Sichtweise kommt natürlich nicht allein Holzkamp und der Kritischen Psychologie zu, selten aber wird eine dermaßen akribische und – nach heutigem Slang – vernetzte Betrachtung der sozialen, kognitiven, emotionalen, kommunikativen, kooperativen usw. Aspekte der Menschwerdung zu finden sein.
Zweitens: Heute ist es offensichtlich und es war vermutlich auch schon zur Entstehung der „Grundlegung der Psychologie“ eine Illusion, von einer sich explizit auf den Marxismus berufenden Wissenschaft einen Durchbruch zu erwarten. Morus Markart beschreibt ebenso lakonisch wie zutreffend: die damit verbundenen, auf fundamentale Kritik und Veränderung der Gesellschaft gerichteten Implikationen waren und sind „nur für eine verschwindende Minderheit von PsychologInnen eine Perspektive“.51 Es ist in diesem Zusammenhang ein – wenn auch symbolträchtiger – Zufall, dass für Eric Hobsbawn das Jahr 1983, also das Erscheinungsjahr der „Grundlegung“, auch den Ausgangspunkt einer Epoche des Rückgangs des Einflusses des Marxismus, sowohl von seiner politischen Bedeutung wie auch seiner intellektuellen Attraktivität her, markiert. 52
Hier ist allerdings auch noch eine zweite Dimension zu beachten. Eine Wissenschaft wie die Kritische Psychologie ist natürlich immer auch ein Stachel im Fleisch der herrschenden gesellschaftlichen Verhältnisse, ihre „Marginalisierung“ ist auch so zu verstehen, dass sie es ungleich schwerer hat, sich – auch akademisch – zu etablieren als eine Richtung, deren Fragestellungen und Problematiken nicht beständig an die „Systemfrage“ heranführen. In diesem Sinne darf das Nicht-Nachbesetzen der Stelle Holzkamps an der Freien Universität Berlin und letztlich die Auflösung „seines“ ehemaligen Instituts durch Zusammenlegung auch als „Abwicklung“ gelesen werden.53
Drittens: Ergänzend zu dem eben Gesagten muss angeführt werden, dass innerhalb der Kritischen Psychologie bisweilen die Zuständigkeit einer Einzelwissenschaft deutlich hin zu einer „Polit-Psychologie“ überdehnt worden ist. Die Grenzen zu einer marxistisch-leninistischen Parteitheorie verschwinden, wenn etwa Karlheinz Braun von der Kritischen Psychologie als „Teil des wissenschaftlichen Sozialismus“ und „der Theorie der revolutionären Arbeiterbewegung“, der ihre „Bewußtheit und Organisiertheit“54 fördere, spricht. Dermaßen direkt wird in der „Grundlegung“ nicht argumentiert, dennoch ist diese Tendenz vorhanden. Ich versuche das an einer der zentralen Kategorien der Kritischen Psychologie zu zeigen. Handlungsfähigkeit stellt sich je in einem konkreten Raum, in einer Einheit von subjektiver Bestimmung („was muss/kann/will ich?“) und objektiver Bestimmtheit („welche objektiven Möglichkeiten/Blockaden habe ich dabei?“). Hier liegen aber nun zwei Varianten begründet: die bloße Ausnutzung der vorhandenen Möglichkeiten oder aber die Erweiterung des Möglichkeitsraumes, also letztlich die Einflussnahme auf und die Veränderung der objektiven Parameter meiner Handlungsfähigkeit.
Dies führt zum Kategorienpaar „restriktive“ versus „verallgemeinerte“ Handlungsfähigkeit.55 Holzkamp interpretiert weiter für Klassengesellschaften, speziell die kapitalistische: „restriktive“ Handlungsfähigkeit ist die unmittelbare Lebensbewältigung durch Anpassung an das Bestehende, „verallgemeinerte“ Handlungsfähigkeit richtet sich auf die gemeinsame Erweiterung der Handlungsfähigkeit durch Veränderung der sie bestimmenden Faktoren. Nicht nur, aber doch merkbar, umschwebt diese Kategorien der Vorwurf des Opportunismus bzw. das Lob des Revolutionärs. Die „restriktive“ Variante bedeutet letztlich ein „Arrangement mit den Herrschenden“, die vollendete Form der „verallgemeinerten Handlungsfähigkeit“ zielt letztlich auf die „ Änderung der gesellschaftlichen Verhältnisse, durch welche die Möglichkeiten bestimmt und begrenzt sind“. Dabei werden „die individuellen Subjekte … zu Elementen gesellschaftlicher Subjekte, die eine kollektive Macht des bewußten ‚Machens‘ von Geschichte darstellen.“ 56
Spätere Arbeiten kritisierten und revidierten diese Tendenz der „Grundlegung“, allgemeine und kategoriale Konzepte „über Gebühr … historisch-konkret“57 aufzuladen, was in Vermischung der Bezugsebenen dazu führen könne, dass „gesellschaftliche Probleme wie interpersonale behandelt werden“.58
Viertens aber koexistiert schon in der „Grundlegung“ diese eben beschriebene Dimension auch mit einer anderen, welche die Verwendbarkeit auch des Paares „restriktive/verallgemeinerte Handlungsfähigkeit“, wie auch aller anderen Kategorien, ohne politische Überfrachtung betont, nämlich in ihrem Sinn, „in der Hand der Betroffenen selbst diesen dabei zu helfen, ihre eigene, also jeweils ‚meine eigene‘ Situation besser (zu) durchdringen“. Und: „Wieweit die entwickelten subjekt-wissenschaftlichen Begriffe tatsächlich dazu taugen, das ist in einem eine Sache ihrer wissenschaftlichen Begründetheit und eine Frage ihrer wirklichen erhellenden Kraft in unser aller Lebenspraxis“.59 Das Kategorienpaar „restriktiv/ verallgemeinert“ „charakterisiert (primär) nicht Menschen, ist also kein ‚Persönlichkeitszug‘ o.ä., sondern charakterisiert bestimmte aktuelle Situationen, stellt sich nämlich prinzipiell jedem Menschen immer wieder“60 und dient somit als Raster für ein immer wieder neu auszufechtendes Drama (vielleicht durchaus im Sinne von Politzer). Ein Drama darüber, „wie, wann, warum, unter welchen Verhältnissen je ich in Versuchen eigener Lebensbewältigung gleichzeitig eigene und anderer Lebensinteressen verletze“61, wann immer Handeln im Spannungsfeld von Veränderung und Anpassung problematisch wird
Insofern darf fünftens eine Erörterung des ausgebliebenen wissenschaftsgeschichtlichen Paradigmenwechsels nicht die Sicht auf einen möglichen individual-biografischen verstellen: Der beste Weg, die „erhellende Kraft für die eigene Situation“ der von Klaus Holzkamp in seinem Hauptwerk vorgestellten Kategorien zu testen, ist natürlich die „Grundlegung der Psychologie“ zu lesen.62 Berichte, wonach dies die Welt- und Selbstsicht ändern könne, sind nicht immer übertrieben.
Fußnoten
1 Der Text basiert auf einem Vortrag gehalten auf der „2. Salzburger Tagung für dialektische Philosophie“ am 26. Jänner 2013.
2 Zitiert nach Markard. Einführung in die Kritische Psychologie, 30. Gesamttext dieser Resolution im WEB: http://www.ssoar.info/ssoar/bitstream/handle/document/20956/ ssoar-psychges-1983-4-resolution_vom_kongress_kritischer_und.pdf?sequence=1
3 Holzkamp. Grundlegung der Psychologie.
4 Grober Überblick bei Abl. Kritische Psychologie. Eine Auseinandersetzung der Kritischen Psychologie mit „konkurrierenden“ psychoanalytisch orientierten Positionen: Braun. Kritik des Freudo-Marxismus.
5 Zur Rekonstruktion des Werdegangs des „vorkritischen“ bürgerlichen Professors Klaus Holzkamp: Markart. Einführung in die kritische Psychologie, 33-63 sowie Sauermann. „Lernen“- die Herausforderung des Klaus Holzkamp, 155 ff.
6 Holzkamp. Sinnliche Erkenntnis – Historischer Ursprung und gesellschaftliche Funktion der Wahrnehmung.
7 Schurig. Naturgeschichte des Psychischen 1. Psychogenese und elementare Formen der Tierkommunikation. Schurig. Naturgeschichte des Psychischen 2. Lernen und Abstraktionsleistungen bei Tieren. Schurig. Die Entstehung des Bewusstseins.
8 Holzkamp-Osterkamp. Grundlagen der psychologischen Motivationsforschung 1. Holzkamp-Osterkamp: Motivationsforschung 2.
9 Sève. Marxismus und Theorie der Persönlichkeit.
10 Politzer. Kritik der klassischen Psychologie.
11 Kölbl. Die Psychologie der Kulturhistoischen Schule.
12 Holzkamp. Grundlegung der Psychologie. S. 7 f.
13 Holzkamp. Grundlegung der Psychologie. S. 27
14 Dieser Begriff wurde von Holzkamp zuerst in Diskussion der Subjekt-Objekt- Problematik in der experimentellen Psychologie („Norm-Versuchsperson“) entwickelt, er kann aber gut verallgemeinert werden. Vgl. Markard. Einführung in die Kritische Psychologie. S. 39 f.
15 Holz: Dialektik. Problemgeschichte von der Antike bis zur Gegenwart. Band III. S. 57
16 Holzkamp. Grundlegung der Psychologie. S. 32
17 Holzkamp. Grundlegung der Psychologie. S. 32.
18 Holzkamp. Grundlegung der Psychologie. S. 48.
19 Leontjew. Tätigkeit. Bewußtsein. Persönlichkeit. 86
20 Leontjew. Tätigkeit. Bewußtsein. Persönlichkeit. 85
21 Leontjew. Probleme der Entwicklung des Psychischen. 36 f.
22 Schurig. Naturgeschichte des Psychischen 1. 60. Schurig datiert den Übergang auf vor ca. 1 Mrd. Jahren, „so daß die Evolution biologischer Strukturen … schon 3 Milliarden Jahre durchlaufen hatte, ehe der Prozeß der Psychogenese einsetzte“.
23 Holzkamp. Grundlegung der Psychologie. 78
24 Holzkamp. Grundlegung der Psychologie. 79
25 Holzkamp. Grundlegung der Psychologie. 79
26 Holzkamp. Grundlegung der Psychologie. 80.
27 Holzkamp. Grundlegung der Psychologie. 80.
28 Diese Terminologie ist heute nicht mehr durchgängig in Verwendung; die „Vormenschen“ im Sinne der „Grundlegung“ würden nach neuerer Einteilung „Hominini“ genannt werden (vgl. Meretz. „Die Grundlegung der Psychologie“ lesen. 37). Die inhaltlichen Aspekte der Erläuterungen Holzkamps bleiben davon natürlich unbeeinflusst.
29 Holzkamp. Grundlegung der Psychologie. 162.
30 Holzkamp. Grundlegung der Psychologie. 162.
31 Klaus Holzkamp (Grundlegung der Psychologie 169) verweist in diesem Zusammenhang auf Leontjews „Jäger-Treiber-Beispiel“. (Leontjew. Probleme der Entwicklung des Psychischen. 203 ff). Die Teilaktivitäten der Treiber (nämlich Beute auf- und wegzuscheuchen) ist nur sinnvoll in Koordination mit den Teilaktivitäten der Jäger, denen die Beute zugetrieben wird: sie beziehen sich somit auf ein übergeordnetes und antizipiertes Gesamtziel (Erlegen und Verteilen). Nach Holzkamp bilden diese Formen der „gelernten sozialen Koordination“ eine der unmittelbaren Voraussetzungen der Menschwerdung.
32 Holzkamp. Grundlegung der Psychologie. 163
33 Holzkamp. Grundlegung der Psychologie. 164
34 Holzkamp. Grundlegung der Psychologie. 172.
35 Holzkamp. Grundlegung der Psychologie. 173
36 An dieser Stelle möchte ich auch auf einen Einwand eingehen, den Claudius Vellay (Vellay. Worin besteht die Einheit der Welt?) auf seinem nachfolgenden Vortrag gegen den Ansatz der „Zweck-Mittel-Umkehr“ aus Sicht der Ontologie des Georg Lukács gebracht hat. Die „Zweck-Mittel-Umkehrung“ erkläre nicht die dem Menschen zukommende Fähigkeit zur bewussten Wesenserkenntnis, zum Verhältnis von menschlicher Teleologie und Naturerkenntnis vermittelt durch menschliche Arbeit. Ich folge Georg Lukács Stufenfolge der Seins-Schichten und seiner Überzeugung, dass diese durch Übergänge verbunden sind, dass ein „gesellschaftliches Sein nur auf der Basis eines organischen und ein solches nur auf der des anorganischen Seins entstehen und sich weiterentwickeln kann. Die vorbereitenden Formen des Übergangs aus einer Seinsart in die andere beginnt die Wissenschaft bereits aufzudecken “ (Lukács. Die ontologischen Grundlagen. 268). Ich sehe hier keinen Dissens, denn genau dies – der Übergang – wäre, wenn ich es richtig verstehe, doch das Programm von Holzkamps Interpretation der Bedeutung der Zweck-Mittel-Umkehr in der Anthropogenese. Die Zweck-Mittel- Verkehrung markiert allerdings nicht den Endpunkt des – im Sinne Lukács – Übergangs von organischem zu gesellschaftlichem Sein, sondern den Beginn. Der ursprüngliche, elementare Werkzeuggebrauch wird noch nicht mit Bewusstsein, muss aber mit kognitiven Keimformen von Erkenntnis von Gesetzmäßigkeiten („Gemacht sein zum“, „Stein härter als Holz“) verbunden sein. Die Entstehung des Bewusstseins markiert das „Ende“ des Tier-Mensch-Übergangsfeldes. Auch wenn ich mich im Haupttext auf ein Programm von Hans Heinz Holz beziehe, das Verhältnis von Kritischer Psychologie und dialektischer Philosophie könnte wohl auch gut anhand der „Ontologie des gesellschaftlichen Seins“ dargestellt werden.
37 Holzkamp. Grundlegung der Psychologie. 174.
38 Holzkamp. Grundlegung der Psychologie. 176.
39 Holzkamp. Grundlegung der Psychologie. 181.
40 Holzkamp. Grundlegung der Psychologie. 181.
41 Holzkamp. Grundlegung der Psychologie. 184.
42 Holzkamp. Grundlegung der Psychologie. 182.
43 Holzkamp. Grundlegung der Psychologie. 180
44 Holzkamp. Grundlegung der Psychologie. 195
45 Holzkamp. Grundlegung der Psychologie. 242
46 Holzkamp. Grundlegung der Psychologie. Klappentext.
47 Holzkamp. Grundlegung der Psychologie. 242
48 Baratta. Bedürfnis. 222.
49 Holzkamp. Grundlegung der Psychologie. 246
50 Zander, Kritischer Psychologe. S. 10.
51 Markart. Kritische Psychologie muss marxistisch sein. S. 80
52 Hobsbawm. Wie man die Welt verändert. S. 360 ff. Das Jahr 1983 ist hier allerdings primär Anlass, einhundert Jahre nach Marx‘ Tod eine Bilanz zu ziehen, versteht sich also weniger als exakter historischer Zeitpunkt einer Trendumkehr. Fakt ist, dass heute der „historische Optimismus“ der Grundlegung nur wenige Jahre vor einer wirklich existenziellen Krise des Marxismus ab 1989 interpretiert und bewertet werden muss.
53 Zander. Kritischer Psychologe.
54 Braun. Kritik des Freudomarxismus. S. 200
55 Holzkamp. Grundlegung der Psychologie S. 370 ff.
56 Holzkamp. Grundlegung der Psychologie. S. 331
57 Markart. Einführung in die Kritische Psychologie. 183
58 Markart. Einführung in die Kritische Psychologie. 193. Dies soll nun keineswegs heißen, dass das Kategorienpaar allgemeine/restriktive Handlungsfähigkeit nicht auch weiterhin für die im engeren Sinn politische Sphäre menschlichen Handelns gültig wäre. So nimmt Achim Bigus in einer Diskussion verschiedenster Studien zum Thema „Alltagsbewusstsein im Betrieb“ Bezug auf die Kritische Psychologie – wenn auch nur als Zitat im Zitat. Er weist auf die Problematik einer „exklusiven Solidarität“ hin, welche immer Ausgrenzung gewisser Gruppen. (z.B. Trennen von Stammbelegschaften und Leiharbeit) bedeutet. Im Sinne nicht nur einer Sicherung, sondern einer Erweiterung der Handlungsfähigkeit gelte es, aus einer durch eine reine gewerkschaftliche „Stellvertreterpolitik“ bedingte „Zuschauerrolle“ herauszutreten hin zu einer „partizipativen“ Interessensvertretung, welche „Erfahrungen solidarischen Handelns“ vermitteln könne. (Bigus. Krise, Widerspruchserfahrungen und Klassenbewusstsein. 47 f).
59 Holzkamp. Grundlegung der Psychologie. S. 402
60 Holzkamp. Grundlegung der Psychologie. 370.
61 Markart. Kritische Psychologie muss marxistisch sein. S. 80
62 Wer dies vorhat, muss wissen: die „Grundlegung“ sind 600 Seiten sehr dichter Text und ist somit selbst mit Vorkenntnissen nicht leicht zu lesen; sie war – wir dürfen es Klaus Holzkamp glauben – wohl auch schwer zu schreiben. Da ich der Meinung bin, dass sich alle Mühe lohnt, hier ein kleiner Serviceteil. Als vorbereitende bzw. begleitende Lektüre empfehlen sich Morus Markart (Einführung in die Kritische Psychologie) und vor allem Stefan Meretz (Die „Grundlegung der Psychologie“ lesen). Meretz’ Buch ist eine thesenhafte, anschauliche und übersichtliche Zusammenfassung der „Grundlegung“ mit aussagekräftigem Glossar. Der Autor betreibt auch die Homepage www.grundlegung. de. Eine Reihe Kritisch-Psychologischer Texte online findet sich hier: http://www.kritische- psychologie.de/publikationen.html. Wer mehr über die Kulturhistorische Schule wissen möchte, findet hier eine umfangreiche Textsammlung: http://www.ich-sciences.de/index. php?id=19&L=0.
Literatur
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Baratta, Giorgio. 2010. Bedürfnis. In Sandkühler, Hansjörg (Hrsg): Enzyklopädie Philosophie. Hamburg: Felix Meiner. 219 – 223
Bigus, Achim. 2012. Krise, Widerspruchserfahrung und Klassenbewusstsein. Empirische Befunde – Analysen – Ausblick. Z. Zeitschrift marxistische Erneuerung 92: 43-56.
Braun, Karlheinz. 1979. Kritik des Freudo-Marxismus. Zur marxistischen Aufhebung der Psychoanalyse. Köln: Pahl-Rugenstein
Hobsbawm, Eric. 2012. Wie man die Welt verändert. Über Marx und den Marxismus. München: Hanser.
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Holzkamp, Klaus. 1983. Grundlegung der Psychologie. Frankfurt/ New York: Campus
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Holzkamp-Osterkamp, Ute. 1982. Motivationsforschung 2. Die Besonderheit menschlicher Bedürfnisse –Problematik und Erkenntnisgehalt der Psychoanalyse. Frankfurt/New York: Campus.
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Leontjew, Alexej Nikolajewitsch. 1982. Tätigkeit, Bewußtsein, Persönlichkeit. Köln: Pahl-Rugenstein
Lukács, Georg. 1984: Die ontologischen Grundlagen [1968] . In Frank Benseler (Hrsg): Revolutionäres Denken: Georg Lukács: Ein Einführung in Leben und Werk . Darmstadt, Neuwied: Luchterhand, 266–283.
Markart, Morus. 1997: Kritische Psychologie muss marxistisch sein!. Z. Zeitschrift marxistische Erneuerung 30: 69-81.
Markart, Morus. 2009. Einführung in die Kritische Psychologie. Hamburg: Argument.
Meretz, Stefan. 2012. Die „Grundlegung der Psychologie“ lesen. Einführung in das Standardwerk von Klaus Holzkamp. Norderstedt: Books on Demand.
Politzer, Georges. 1974. Kritik der klassischen Psychologie. Köln: Europäische Verlagsanstalt.
Sauermann, Ekkehard. 1996. „Lernen“ – die Herausforderung des Klaus Holzkamp. Z. Zeitschrift marxistische Erneuerung 28: 156-167.
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Schurig, Volker. 1975. Naturgeschichte des Psychischen 2. Lernen und Abstraktionsleistungen bei Tieren. Frankfurt/New York: Campus.
Schurig, Volker. 1976. Die Entstehung des Bewußtseins. Frankfurt/ New York: Campus.
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Zander, Michael. 2012. Kritischer Psychologe. Der Marxist Klaus Holzkamp wäre heute 85 Jahre alt geworden. Junge Welt vom 30.11.2012: 10.