Helmuth Fellner: “Freiheit” in der bürgerlichen Philosophie

Helmuth Fellner, Wien

Das Freiheitsproblem in der bürgerlichen Philosophie vor Marx und Engels

Der vorliegende Artikel ist der erste Teil einer umfangreicheren Arbeit über den Begriff der Freiheit bei Karl Marx, in den nächsten Ausgaben folgen Teil 2 (Der Begriff der Freiheit bei Marx) und Teil 3 (Die Dialektik von Freiheit und Notwendigkeit bei Marx und Engels). Im ersten Teil nun wird der „bürgerliche“, vormarx’sche Begriff von Freiheit anhand von vier Problemdimensionen historisch umrissen: Soziale Grundlagen der Freiheit, Freiheit als Subjektives Vermögen, Freiheit und Determinismus, Freiheit und Gesellschaft.

Nehmen wir – auch in Hinblick darauf, dass dies nur der erste, eigentlich einleitende Teil der gesamten Arbeit ist – als definitorischen Ausgangspunkt eines der bekanntesten Zitate von – welche Überraschung – Karl Marx zur Problematik der Freiheit:

„Das Reich der Freiheit beginnt in der Tat erst da, wo das Arbeiten, das durch Not und äußere Zweckmäßigkeit bestimmt ist, aufhört; es liegt also der Natur der Sache nach jenseits der Sphäre der eigentlichen materiellen Produktion. Wie der Wilde mit der Natur ringen muss, um seine Bedürfnisse zu befriedigen, um sein Leben zu erhalten und zu reproduzieren, so muss es der Zivilisierte, und er muss es in allen Gesellschaftsformen und unter allen möglichen Produktionsweisen. Mit seiner Entwicklung erweitert sich dies Reich der Naturnotwendigkeit, weil die Bedürfnisse sich erweitern; aber zugleich erweitern sich die Produktivkräfte, die diese befriedigen. Die Freiheit in diesem Gebiet kann nur darin bestehen, dass der vergesellschaftete Mensch, die assoziierten Produzenten, diesen ihren Stoffwechsel mit der Natur rationell regeln, unter ihre gemeinschaftliche Kontrolle bringen, statt von ihm als von einer blinden Macht beherrscht zu werden; ihn mit dem geringsten Kraftaufwand und unter den ihrer menschlichen Natur würdigsten und adäquatesten Bedingungen vollziehen. Aber es bleibt dies immer in Reich der Notwendigkeit. Jenseits desselben beginnt die menschliche Kraftentwicklung, die sich als Selbstzweck gilt, das wahre Reich der Freiheit, das aber nur auf jenem Reich der Notwendigkeit als seiner Basis aufblühen kann.“1

Die sozialen Grundlagen von Freiheit

In der Urgesellschaft, von Engels auch als Urkommunismus2 bezeichnet, hatte es zwar große individuelle Freiheit gegeben, da es keine Ausbeutung gab, und eine Art von urwüchsiger Demokratie, da alle Arbeiten, die zur Befriedigung der Bedürfnisse notwendig waren, ohne gesellschaftliche Rangunterschiede gemeinsam durchgeführt wurden. Diese Freiheit war aber mit einer weitgehenden Ohnmacht gegenüber der Natur und damit einer Unfreiheit der Menschen gegenüber der Natur verbunden. In der weiteren gesellschaftlichen Entwicklung die man als Etappen der persönlichen Abhängigkeit der Produzenten beschreiben könnte, in der Sklavenhaltergesellschaft und im Feudalismus, wurden Anfänge in der Beherrschung und Bewältigung der Natur gesetzt, jedoch trat durch persönliche Abhängigkeit der Produzenten nicht nur ein hohes Maß an individueller Unfreiheit auf, sondern auch ein hohes Maß an Unfreiheit ganzer gesellschaftlicher Schichten. Unfreie und Unterdrückte mussten sich dagegen erheben:

„Freier und Sklave, Patrizier und Plebejer, Baron und Leibeigener, Zunftbürger und Gesell, kurz, Unterdrücker und Unterdrückte standen in stetem Gegensatz zueinander, führten einen ununterbrochenen, bald versteckten, bald offenen Kampf, einen Kampf, der jedesmal mit einer revolutionären Umgestaltung der ganzen Gesellschaft endete oder mit dem gemeinsamen Untergang der kämpfenden Klassen.“3

Die nächste Stufe der gesellschaftlichen Entwicklung – die bürgerliche Gesellschaft – brachte zwar persönliche Unabhängigkeit der Produzenten, aber gleichzeitig sachliche Abhängigkeit, d.h. ein Unterworfensein unter die als sachliche Gewalten auftretenden gesellschaftlichen Zusammenhänge. Der Kapitalismus hob also die persönliche Abhängigkeit der Produzenten auf, doch die so genannte Bürgerliche Freiheit war fast ausschließlich eine Freiheit des Eigentums, war an Eigentum gebunden. In der bürgerlichen Gesellschaft kommt es zu einer Vereinfachung der Klassengegensätze:

„Unsere Epoche, die Epoche der Bourgeoisie, zeichnet sich jedoch dadurch aus, dass sie die Klassengegensätze vereinfacht hat. Die ganze Gesellschaft spaltet sich mehr und mehr in zwei große feindliche Lager, in zwei große einander direkt gegenüberstehende Klassen: Bourgeoisie und Proletariat.“4 Und weiter führen Marx und Engels aus, die Bourgeoisie hätte alle „feudalen, patriarchalischen, idyllischen Verhältnisse“ zerstört:

„Sie (die Bourgeoisie – H.F.) hat die persönliche Würde in den Tauschwert aufgelöst und an die Stelle der zahllosen verbrieften und wohlerworbenen Freiheiten die eine gewissenlose Handelsfreiheit gesetzt. Sie hat, mit einem Wort, an die Stelle der mit religiösen und politischen Illusionen verhüllten Ausbeutung die offene, unverschämte, direkte, dürre Ausbeutung gesetzt.“5

In der Französischen Revolution schließlich wurde die Freiheit als das Recht des Individuums formuliert, alles zu tun, was keinem anderen schadet; damit wurde der Mensch als isolierte Monade, nicht aber als gesellschaftliches Wesen betrachtet. Dem entsprach auch die Entwicklung der bürgerlichen Philosophie, die Freiheit an Eigentum band. Frei war nur der Privateigentümer. Gleichzeitig war die Illusion einer gleichmäßigen Verteilung des Eigentums vorhanden. Rousseau und Fichte forderten im Interesse einer allgemeinen Freiheit unumschränkte Durchsetzung des Privateigentums. Im Widerspruch zu dieser Forderung verlangte Fichte gleichzeitig rechtliche Gleichstellung, gleiche Bildungschancen und gleichen Lebensstandard. Und auch Diderot und Herder, die Geldgier und Egoismus anprangerten, erkannten diese nicht als notwendige Elemente der kapitalistischen Produktion.

Die Bandbreite der politischen Freiheit des Volkes – es sollte seine Souveränitätsrechte wahrnehmen – erstreckte sich von der Hoffnung der französischen Bourgeoisie auf „Einsicht“ der Fürsten in Bezug auf die Schaffung demokratischer Verhältnisse bis zum Recht auf gewaltsame Veränderung der politischen Machtverhältnisse durch das Volk.

Immanuel Kant hingegen äußerte deutliche Vorbehalte gegenüber einer allgemeinen Freiheit: Aufklärung sollte nur auf Gebildete6 beschränkt werden, Eigenschaften eines „aktiven“ Staatsbürger wurden nur den „höheren“ Schichten des dritten Standes zuerkannt, die Religion sollte zur Beherrschung der unteren Volksschichten dienen7. Ein Teil der bürgerlichen Philosophen sah nicht, dass die juristische Gleichheit der Bürger solange formal bleibt, als ihr nicht die tatsächliche Gleichstellung im ökonomischen Bereich zugrunde liegt.

Gottfried Wilhelm Leibniz allerdings erkannte dies, indem er einen Unterschied zwischen juristischer und faktischer Freiheit herausarbeitete. Er zeigte, dass bei gleicher Freiheit sich derjenige größerer faktischer Freiheit erfreut, der über die größeren Mittel verfügt.8

Neben der politischen und ökonomischen Befreiung des Bürgertums aus den Fesseln der Feudalverhältnisse forderte die bürgerliche Philosophie vor allem Freiheit für den geistigen Bereich, freie Meinungsäußerung, freie Wissenschaft und Forschung usw. Jedoch wurde der Prozess der Verwirklichung der geistigen Freiheit als streng individueller Prozess aufgefasst.

Bald erkannten auch einige idealistische bürgerliche Philosophen, dass die Religion sowohl der geistigen als auch der politischen Befreiung der Menschen im Wege stand. Führer des Menschen sollte die Vernunft und nicht der blinde Glaube sein. „Wenn ich auf meine Vernunft verzichte, habe ich keinen Führer mehr.“9

Für die atheistische und die materialistische Philosophie war diese Erkenntnis richtungsweisend. Für die Materialisten wie Thomas Hobbes, Denis Diderot, Paul Thiry d‘Holbach, Ludwig Feuerbach u.a. bedeutete Vernunft nicht geistige Eingebung, sondern ein Sich-Stützen auf die Sinne, ein Verallgemeinern der Erfahrungen. Geistige Befreiung sollte also bedeuten: das Recht zu haben, sich uneingeschränkt auf die Vernunft zu stützen.

Die bürgerliche Idee von der Freiheit war also letztlich ihrem theoretischen Gehalt nach einseitig und ihrem sozialen Sinn nach auf die bürgerliche Klasse bezogen.

Den utopischen Sozialisten (Charles Fourier, Henri de Saint-Simon, Robert Owen usw.) war zwar bewusst, dass die Unfreiheit der materiellen Produzenten, also der Arbeiterklasse, ihre Wurzel im Privateigentum an Produktionsmitteln hat, sie begriffen das Proletariat aber lediglich als leidende Klasse, der geholfen werden musste. Sie erkannten die – nach Marx – selbst- und menschheitsbefreiende Rolle des Proletariats, die in seiner ganzen Genesis objektiv enthalten ist, die historische Mission der Arbeiterklasse, nicht.

Marx und Engels hingegen hatten die Frage der Freiheit immer als Frage nach der Stellung von Klassen im gesellschaftlichen Reproduktionsprozess behandelt. Sie übernahmen und bedienten sich hiebei, wie auch bei der Erarbeitung anderer Fragestellungen und Probleme, der Erkenntnisse der bürgerlichen Philosophie, jedoch nicht einfach als geradlinige Fortsetzung, sondern brachten sie dialektisch in ihre Konzeption ein.

Freiheit als subjektives menschliches Vermögen

Die Freiheits-Problematik des Individuums ist in der vormarxschen Philosophie ziemlich komplex, sie umfasst

  • die Stellung des Einzelnen zur Gesellschaft,

  • das Verhältnis der Gesellschaft zu den objektiven Bewegungsgesetzen der Natur und Geschichte,

  • die Beziehung von Erkenntnis und Handeln,

  • das Verhältnis von Pflicht und Neigung,

  • die Beziehung von Freiheit und Notwendigkeit usw.

Den bürgerlichen Philosophen vor Marx stellte sich das Problem der Freiheit des Menschen primär als Frage nach der Beziehung des Einzelnen zum Einzelnen, nicht jedoch wie bei Marx und Engels als Frage des Verhältnisses des gesellschaftlichen Menschen zu seinen natürlichen und sozialen Existenzbedingungen. Selbst Hegel, der den Menschen zwar als ein auf die Gemeinschaft bezogenes Wesen betrachtete, sah die Gesellschaft nur als funktionales System von Individuen. Für Kant waren alle Erscheinungen der Wirklichkeit dem Wirken von Gesetzen unterworfen. Nur der Mensch sei imstande, sich selbst Gesetze zu geben. Er knüpfte somit Freiheit an die menschliche Subjektivität. Der Mensch ist ein bewusst handelndes, vernünftiges Wesen. Die bürgerliche Philosophie erblickte also in der Erkenntnisfähigkeit des Menschen, in seiner Vernunft, sein eigentliches Wesen.

Für Feuerbach waren Vernunft, Wille und Herz die entscheidenden Kennzeichen des Menschen:

„Aber was ist denn das Wesen des Menschen, dessen er sich bewusst ist, oder was macht die Gattung, die eigentliche Menschheit im Menschen aus? Die Vernunft, der Wille, das Herz. Zu einem vollkommenen Menschen gehört die Kraft des Denkens, die Kraft des Willens, die Kraft des Herzens.“10

Die bürgerliche Philosophie fasste die menschliche Freiheit einfach als individuelle Möglichkeit des Menschen, zu denken und zu wollen. Die Freiheit des Menschen zeigte sich den bürgerlichen Philosophen letztlich als Willkür des Individuums. „Die Freiheit“, definierte Diderot, „liegt in dem Vermögen, das ein intelligentes Wesen besitzt, um – seiner eigenen Bestimmung gemäß – das zu tun, was es will.“11

Kant beschreibt in seiner „Kritik der reinen Vernunft“ die Freiheit als das Vermögen des Menschen, einen Zustand von selbst anzufangen, ohne durch empirische äußere Beweggründe genötigt zu sein. Leibniz kritisierte hingegen die Vorstellung von einer absoluten Spontaneität des menschlichen Willens. Er meinte, es komme zu einem Zusammentreffen innerer Anlagen und äußerer Eindrücke. Der Mensch glaubt nur deshalb, er handle völlig „frei“, völlig nach eigenem Entschluss, weil er sich dieser doppelten Determination seines Handelns nicht bewusst ist. Leibniz betrachtet jedoch den Willen nicht als absolut und streng determiniert: „…das Übergewicht des erkannten Guten macht geneigt, aber es nötigt nicht“.12 Freiheit sei kein Attribut des Willens, sondern sie komme dem tätigen, handelnden Menschen zu.

Auch Voltaire griff diesen Gedanken auf, indem er feststellte, dass es sich bei der Freiheit um das Können nicht um das Wollen handle. Die Unentschiedenheit bei der Wahl (das So-oder-so-Handeln) ist für Descartes der niedrigste Grad der Freiheit. Für ihn kommt es auf das richtige Denken, die richtige Entscheidung an.

Hegel meinte, der Mensch sei im Denken frei, weil er sich durch das Denken die Natur der Wirklichkeit aufschließt, sich mit ihr in Übereinstimmung setzt.

Fichte unterscheidet zwischen zwei Arten der Freiheit: der formalen Freiheit und der materiellen Freiheit. Auch wenn der Mensch seinem Naturtrieb folge, sei er formal frei. Formale Freiheit ist die Bewusstheit des menschlichen Tuns. Materiale Freiheit sein Handeln nach höheren, produktiv in die menschliche Geschichte eingreifen- den Zwecken. Wirklich frei sei der Mensch nur, wenn er eine neue Wirklichkeit nach seinen Ideen, Zwecken und Zielen schaffe. Fichte sah als höchstes Ziel der Menschheit die Erringung der Herrschaft des Menschen über die Natur und sein eigenes gesellschaftliches Sein.

Freiheit und Determinismus

Der mechanische Materialismus des 17. und 18. Jahrhunderts vertrat den Standpunkt der objektiven Determiniertheit des menschlichen Handelns. Entwickelt hatte sich dieser Standpunkt aus den antitheologischen Auffassungen der Materialisten, gleichsam um die Welt aus sich zu erklären.

Von René Descartes ausgehend brechen die französischen Materialisten des 18. Jahrhunderts kompromisslos mit allen indeterministischen Vorstellungen und erklären auch das psychische Geschehen mit Hilfe mechanischer Prinzipien. Die objektive Bestimmtheit des menschlichen Seins und Tuns wird verabsolutiert. Die gesamte Wirklichkeit wird als Zusammenhang von Naturprozessen erklärt und der Mensch als Element dieser Naturprozesse. Für Julien Offray de La Mettrie ist der Mensch ein komplizierter Mechanismus, eine Maschine, die mechanischen Prinzipien gehorcht. Die Anschauungen der französischen Materialisten werden zu einem universellen mechanischen Determinismus entwickelt, der seinen prägnanten Ausdruck im Begriff des Laplaceschen Dämons, der aus der Mechanik entlehnt wurde, findet.

Pierre-Simon Laplace nimmt ein intelligentes Wesen an, das als fähig gedacht wird, alle in der Natur wirkenden Kräfte und die Koordinaten aller Körper zu einem bestimmten Zeitpunkt zu kennen und sie der Analyse zu unterziehen. Ein solcher Dämon könnte in einer einzigen Formel die Bewegung der großen Körper wie die des leichtesten Atoms erfassen; aus dem augenblicklichen Zustand des Weltalls könne er auf Grund der Gesetze der Mechanik prinzipiell jeden vergangenen und jeden zukünftigen Zustand berechnen. Der Vorstellung von Laplace liegt wesentlich das Prinzip des mechanischen Materialismus zugrunde, dem zufolge die Natur eine einzige ununterbrochene Kette von Ursachen und Wirkungen ist, die notwendig miteinander verknüpft sind.

Durch diese Ursache-Wirkungs-Verknüpfung wurden die Unterschiede von wesentlichen und unwesentlichen, notwendigen und zufälligen Zusammenhängen ausgelöscht. Alle Erscheinungen waren ontologisch gleichwertig. Der Mensch war nicht frei, sondern er wirkte wie ein Naturgegenstand: er empfing Impulse und vermittelte sie weiter. Dem idealistischen Hervorheben der subjektiv menschlichen Komponente der Freiheit trat eine metaphysisch verabsolutierte Auffassung der objektiven Bedingungen und Voraussetzungen im mechanischen Materialismus gegenüber.

Für Holbach war der Mensch wie alle Naturdinge von außen determiniert und daher unfrei. Damit wurde auch ein System von Naturzusammenhängen postuliert, das auch die Gesellschaft völlig bestimmen sollte. Die menschliche Subjektivität war damit ausgelöscht.

Der Philosophie stellte sich nun die Aufgabe, die subjektive und objektive Komponente der menschlichen Freiheit gedanklich zu verbinden. Dies leistete vor allem der Idealismus Hegels, der das Prinzip der Freiheit und das Prinzip des Determinismus vereinigte. Indem Hegel den dialektischen Charakter des Zusammenhangs zwischen Ursache und Wirkung, Notwendigkeit und Zufall, Notwendigkeit und Freiheit betonte, lieferte er erste Ansätze zu einer Überwindung der mechanisch-metaphysischen Determinismusauffassung. Die Französische Revolution bewies, dass es in der gesellschaftlichen Entwicklung die Freiheit des menschlichen Handelns, die sich als das Realisieren objektiv vorhandener alternativer Möglichkeiten betätigt, gibt, Und auch die naturwissenschaftlichen Erkenntnisse wiesen deutlich auf die Unzulänglichkeit des mechanischen Determinismus hin.

Kants Meinung war, dass sich die Natur und Freiheit substantiell ausschließen. Der Determinismus kann mit menschlicher Freiheit nur so vereinbart werden, dass beide als verschiedenen Seinsbereichen angehörig gedacht werden.

Bei Fichte findet sich der Versuch einer Aufhebung des Gegensatzes zwischen Freiheit und Notwendigkeit. Ausgangspunkt seiner Überlegungen war der tätige Mensch; Tätigkeit bedeutete für ihn jedoch nicht materielle Praxis, sondern ideologisch-theoretische Aktivität.

Die soziale Wirklichkeit sei das Erzeugnis des tätigen Menschen. Damit habe die Freiheit das Primat gegenüber der Notwendigkeit. Die Notwendigkeit bestimmte er als Produkt und Entäußerung der Freiheit. Notwendigkeit sei Attribut des Seins und Freiheit Attribut des Denkens. Die Klammer beider Sphären erblickte er im Subjekt: Das Sein war für ihn ein Produkt menschlicher Aktivität; damit bestimmte er das Sein wesentlich als gesellschaftliches Sein.

Für Hegel bedeutete Freiheit nicht mehr, wie noch für Fichte, das reine Geltendmachen der Subjektivität, sondern für ihn war sie Resultat bewusster Anerkennung der in der Gesellschaft wirkenden allgemeinen Erfordernisse und Interessen. Hegel überwand die Enge des mechanistischen Determinismus wesentlich durch die vertiefte Ausarbeitung des Gesetzesbegriffs. Im mechanischen Materialismus war die Gesetzmäßigkeit des Wirklichen auf die Notwendigkeit und diese auf die Ursache-Wirkungs-Verknüpfung zurückgeführt worden. Hegel ging dagegen vom Begriff des Wirklichen als Einheit des Inneren und Äußeren, des Notwendigen und des Zufälligen, des Wesentlichen und Unwesentlichen aus. Er definierte das Gesetz als den Erscheinungen innewohnende Allgemeine, Wesentliche und Notwendige. Das freie Handeln des Menschen stimmt mit den Gesetzmäßigkeiten überein, ohne gleichzeitig bloßes Vollzugsmoment einer äußeren Notwendigkeit zu sein. Die Notwendigkeit bildet für ihn die Daseinsform der Gesetzmäßigkeit, sie stellt den inneren Zusammenhang geschichtlicher Ereignisse her. Die Notwendigkeit ist blind, insofern sich aus dem Tun des Einzelnen ungewollte Zusammenhänge ergeben, die den geschichtlichen Fortschritt herbeiführen. (Die blinde Notwendigkeit der Geschichte wurde für ihn allerdings zu einer sehenden, begriffenen durch ein über individuelles Subjekt: den Weltgeist, Gott!)

Freiheit ist für Hegel Bei-sich-Sein! Der Mensch als Vernunftwesen vermag sein Bei-sich-Sein nur so zu verwirklichen, dass er sich selbst in der Wirklichkeit wiederfindet. Das Freiheitsbewusstsein fasst er als Prozess und nicht als etwas unmittelbar Gegebenes auf. Freiheit ist primär als ein theoretisches Verhältnis des Menschen zur Wirklichkeit zu verstehen. Daher erschien ihm die Überwindung der gesellschaftlichen Unfreiheit wesentlich als Problem der Neuinterpretation der Wirklichkeit. (Für Hegel waren die Sklaven deswegen nicht frei, weil sie noch nicht wussten, dass der Mensch an sich, seinem Wesen nach, frei ist!) Wenn Hegel also die Freiheit als Prozess bestimmt, so primär als einen Prozess der Erkenntnisentwicklung. Hegel ging von der wechselseitigen Durchdringung beider Seiten – der Freiheit und der Notwendigkeit, des subjektiven und des objektiven Moments – aus:

„Das Wahre ist aber die Einheit von Gegensätzen; und wir haben zu sagen, dass der Geist in seiner Notwendigkeit frei ist, nur in ihr seine Freiheit hat, wie seine Notwendigkeit in seiner Freiheit besteht.“13

Hegel versuchte, das Objektive in seiner Unabhängigkeit vom subjektiven menschlichen Bewusstsein, in seinem An-und-für-sich- Sein zu fixieren. Notwendigkeit ist als solche noch nicht Freiheit; aber die Freiheit habe die Notwendigkeit als Voraussetzung und enthalte sie aufgehoben in sich. Freiheit besteht nicht darin, tun und lassen zu können, was man will. Willensfreiheit ist nicht die wahre Freiheit, weil die subjektive und die objektive Freiheit noch keine Einheit bilden, aber gerade darauf kam es Hegel an. Notwendigkeit und Frei- heit sind für Hegel Gegensätze; von Gegensätzen aber gilt, dass sie sich durchdringen, dass sie eine negative, widerspruchsvolle Einheit bilden. Für die Entwicklung der Freiheitsproblematik bei Marx und Engels waren die Hegelschen Erkenntnisse von großer Bedeutung. Engels schreibt darüber im „Anti-Dühring“:

„Hegel war der erste, der das Verhältnis von Freiheit und Notwendigkeit richtig darstellte. Für ihn ist die Freiheit die Einsicht in die Notwendigkeit. ‚Blind ist die Notwendigkeit nur, insofern dieselbe nicht begriffen wird.’ Nicht in der geträumten Unabhängigkeit von den Naturgesetzen liegt die Freiheit, sondern in der Erkenntnis dieser Gesetze, und in der damit gegebenen Möglichkeit, sie planmäßig zu bestimmten Zwecken wirken zu lassen Freiheit des Willens heißt daher nichts anderes, als die Fähigkeit, mit Sachkenntnis entscheiden zu können. Je freier also das Urteil eines Menschen in Beziehung auf einen bestimmten Fragepunkt ist, mit desto größerer Notwendigkeit wird der Inhalt dieses Urteils bestimmt sein.“14

Freiheit und Gesellschaft

Die bürgerlichen Philosophen gingen in der Gesellschaftsauffassung vom isolierten Einzelnen aus und charakterisierten die Gesellschaft als den Zusammenhang isolierter, spontaner Einzelaktionen. Erst für Marx war die Gesellschaft das Primäre, da sich der Mensch auch nur in der Gesellschaft vereinzeln könne.

Die bürgerliche Philosophie entwickelte die Idee der Selbstentfaltung des Individuums. So meinte Wilhelm von Humboldt: Je weniger die Gesetze das Individuum einschränken und reglementieren, umso größere Freiheit besitze es. Freiheit sei also die weitestgehende Ungebundenheit des besonderen Willens und Handelns. Die Freiheit des jeweiligen Individuums dürfe jedoch die Freiheit der anderen Individuen nicht beeinträchtigen. [Ökonomisch lag dieser Freiheitsauffassung die kleine Warenproduktion des sich erst entwickelnden Kapitalismus zugrunde.]

Nun stellte sich den bürgerlichen Philosophen die Frage: Wie lässt sich einzelnes Wollen und Handeln mit den Interessen sozialer Gruppen und der gesamten Gesellschaft so verknüpfen, dass die Freiheit des Individuums gewahrt bleibt? Aus den individuellen Handlungen ergebe sich spontan ein gesellschaftlicher Zusammenhang, der den Individuen fremd gegenübersteht, der sie beherrscht, statt dass sie ihn beherrschen.

Die klassische deutsche Philosophie bemühte sich, die Freiheit des Einzelnen mit jener der Gesellschaft zu vereinigen. Dieses Bemühen war getragen von der Zielsetzung, die Entfremdung zwischen Individuum und Gesellschaft aufzuheben. Die Herrschaft des Menschen über seinen eigenen Lebensprozess sollte theoretisch begründet werden. Die Aufhebung der Entfremdung wurde als Prozess des Sich-selbst- Findens des Menschen in einer als „absolut“ gesetzten (bürgerlichen) Gesellschaft. Der ökonomischen Freiheit des Einzelnen wurde der Staat als Organ der gesellschaftlich bewussten Freiheit übergeordnet. Der Staat wurde als Synthese des Individuellen und Gesellschaftlichen gesehen. Der bürgerliche Staat wurde nicht als Organ der Klassenherrschaft, sondern als Stätte des „allgemeinen Wollens“ betrachtet. Für Kant beruht die Gesellschaft auf drei apriorischen Prinzipien:

  • der Freiheit jedes Einzelnen als Mensch,

  • der Gleichheit aller Individuen als Untertanen,

  • der Selbständigkeit der Individuen als Bürger.

Die bürgerliche Verfassung ist ein Verhältnis von freien Menschen, die zugleich unter Zwangsgesetzen stehen, in welchen sich die Bedürfnisse und Interessen des gesellschaftlichen Ganzen Ausdruck geben. Das Interesse der Gesellschaft ist in der Verfassung fixiert, die jedem Einzelnen seine Freiheit durch Gesetze garantiert.

Bei Fichte ist die Freiheit des Einzelnen an Eigentum gebunden ist, daher müsse jeder Eigentum haben. Freie Handlungen dürften sich nicht gegenseitig beeinträchtigen. Später präzisierte Fichte seine Anschauungen noch genauer: Es gebe keine Freiheit isolierter Individuen, sondern Freiheit existiere nur in der Gemeinschaft und als gemeinschaftliches Vermögen der Menschen. Fichte übte Kritik an einer Freiheit, die allein das Gewinnstreben des Einzelnen zum Inhalt hat, zugleich aber, da sie die Allmacht des Zufall einräumt, die Freiheit in Unfreiheit verkehrt. (Fichte wollte staatliche Regulierungsmechanismen in der bürgerlichen Gesellschaft, um dies zu verhindern!)

Die gemeinschaftlichen Angelegenheiten sollten zu persönlichen werden; da dies auf der Grundlage ungleicher Eigentumsbedingungen nicht denkbar sei, trat Fichte für die allmähliche Herstellung gleicher Eigentumsbedingungen ein. Das Ziel dieser Überlegung war die Regelung der ökonomischen und politischen Prozesse durch den kollektiven Willen der Staatsbürger. Er stellte der bloßen Willkür des Individuums die Freiheit der Gesellschaft, die sich ihm in der Macht des Staates ausdrückte, gegenüber:

„Wir wollen freilich Freiheit, und sollen sie wollen; aber wahre Freiheit entsteht nur vermittelt des Durchganges durch die höchste Gesetzmäßigkeit.“15

Hegel entwickelte die Freiheit des Individuums von den gesellschaftlichen Voraussetzungen her. Er maß dabei der verfassungsmäßigen, gesetzlichen Ordnung des bürgerlichen Staates große Bedeutung zu. Er wandte sich damit auch gegen die illusionären Vorstellungen der Französischen Revolution von einer „absoluten Freiheit“. Bürgerliche Freiheit sei nur auf der Grundlage stabilisierter gesellschaftlicher Machtverhältnisse möglich, wo jeder Einzelne seinen Platz in einer sozialen Gemeinschaft findet.

Der bürgerliche Staat war für Hegel dafür die Grundlage; im Staat als Verkörperung des gesamtgesellschaftlichen Willens sah Hegel auch die entscheidende soziale Institution. Das bürgerliche Recht war für ihn das „Dasein aller Bestimmungen der Freiheit“.16

Gegenüber der abstrakten Freiheit entwickelte er die Idee der konkreten Freiheit, die sich darin äußert, dass die persönlichen Interessen ihre vollständige Entwicklung und Anerkennung finden. Freiheit bestehe also nicht im Verfolgen des persönlichen Vorteils, sondern im jeweiligen einzelnen Handeln, bewusst für das Allgemeininteresse tätig zu sein. Das Allgemeine erhält nur durch das Besondere und Einzelne Existenz; das allgemeine Interesse wird nur mittels der Sicherung des individuellen Interesses realisiert. Das Befolgen der Gesetze ist die Verwirklichung der Freiheit, weil sich im Gesetz das vernünftige Interesse aller Individuen zusammenfassen lässt, Objektive und reale Freiheit ist nur im bürgerlichen Staat realisiert; die Tätigkeit der Institutionen der öffentlichen Ordnung ist für Hegel die wirkliche, erfüllte, gemeine Freiheit. (Dies trug ihm auch oft den Titel „preußischer Staatsphilosoph“ ein!) Feuerbach deckte die „Halbheiten“ in den politischen Stellungnahmen Hegels auf: statt Hegels „konstitutioneller Monarchie“ forderte er eine „konsequente bürgerliche Demokratie“. Freiheit und religiöse Beschränktheit erklärte er für unvereinbar. Wahre Freiheit verlange die Überwindung des Gottesglaubens. Allein die Republik, in welcher der Volkswille oberstes Gesetz sein müsse, stimme mit den Forderungen der Vernunft überein. Feuerbach löste jedoch die soziale Natur des Menschen in eine abstrakte Ich-Du-Beziehung auf. Marx, und Engels arbeiteten in der „Deutschen Ideologie“ ihre Stellung zum Problem Freiheit – Gesellschaft so heraus:

„Erst in der Gemeinschaft (mit Anderen hat jedes) Individuum die Mittel, seinen Anlagen nach allen Seiten hin auszubilden; erst in der Gemeinschaft wird also die persönliche Freiheit möglich. In den bisherigen Surrogaten der Gemeinschaft, im Staat usw. existiert die persönliche Freiheit nur für die in den Verhältnissen der herrschenden Klasse entwickelten Individuen und nur, insoferne sie Individuen dieser Klasse waren. Die scheinbare Gemeinschaft, zu der sich bisher die Individuen vereinigten, verselbständigte sich stets ihnen gegenüber und war zugleich, da sie eine Vereinigung einer Klasse gegenüber einer anderen war, für die beherrschte Klasse nicht nur eine ganz illusorische Gemeinschaft, sondern auch eine neue Fessel. In der wirklichen Gemeinschaft erlangen die Individuen in und durch ihre Assoziation zugleich ihre Freiheit.“ 17

[In der nächsten Ausgabe dieser Zeitschrift folgt als logische Fortsetzung der zweite Teil: Der Begriff der Freiheit bei Marx.]

Fußnoten

1 Marx, Karl: Das Kapital. Band 3, Marx-Engels-Werke (MEW) Band 25. Dietz-Verlag Berlin 1972; S. 828.

2 Siehe: Friedrich Engels: „Der Ursprung der Familie, des Privateigentums und des Staats“. In: MEW Band 21. Karl Dietz Verlag, Berlin 1975.

3 Marx, Karl und Engels, Friedrich: Manifest der Kommunistischen Partei. MEW, Band 4. Dietz-Verlag Berlin 1972; S. 462.

4 Ibid. S. 463.

5 Marx, Karl und Engels, Friedrich: Manifest der Kommunistischen Partei. In: MEW Bd. 4; S. 465.

6 Kant, Immanuel: Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung ? In: Berlinische Monatsschrift. Dezember-Heft 1784. In: Horst D. Brandt (Hrsg.): Philosophische Bibliothek (Bd.512). Hamburg 1999.

7 Immanuel Kant, Metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre. Hsg. Höfe, Ottfried. Akademie-Verlag Berlin 1999; S. 205ff.

8 vgl. G.W. Leibniz: Neue Abhandlungen über den menschlichen Verstand.

9 G.W. Leibniz: Neue Abhandlungen über den menschlichen Verstand. Band.1, Frankfurt 1961; S. 36.

10 Feuerbach, Ludwig: Das Wesen des Christentums. Reclam-Verlag, Stuttgart 1969; S. 39.

11 Diderot, Denis: Philosophische Schriften. Bd. 1, Berlin 1961; S. 305.

12 G.W. Leibniz: Neue Abhandlung über den menschlichen Verstand. Bd. 1, Frankfurt, 1961; S. 317.

13 G.W.F. Hegel: System und Geschichte der Philosophie. Leipzig 1940; S. 116.

14 Engels, Friedrich: Anti-Dühring. In: MEW 20; S. 106.

15 J.G. Fichte: Die Grundzüge des gegenwärtigen Zeitalters. Leipzig 1943; S. 216.

16 G.W.F. Hegel: Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften. Frankfurt 1970; S. 312.

17 Marx, Karl/Engels, Friedrich: Die deutsche Ideologie. In: MEW Bd. 3; S. 74.