Aufhebung #13 erschienen

Die neue Aufhebung ist da!

Aufhebung #13 erschienen

Es sei nicht schwer zu sehen, so Hegel in der Vorrede zur Phänomenologie des Geistes, „dass unsere Zeit eine Zeit der Geburt und des Übergangs zu einer neuen Periode ist. Der Geist hat mit der bisherigen Welt seines Daseins und Vorstellens gebrochen und steht im Begriffe, es in die Vergangenheit hinab zu versenken, und in der Arbeit seiner Umgestaltung.“ (G. W. F. Hegel. 1986. Phänomenologie des Geistes. In: Werke. Band 3. Frankfurt am Main: Suhrkamp, 18.)

Für die dialektische Philosophie der Gegenwart sind diese Worte brandaktuell. Die invariante Aufgabe der dialektischen Philosophie besteht in der Arbeit des Denkens an seinem eigenen Instrumentarium; an der Erarbeitung von Konzepten und Modellen, Systemen und Methoden, die mitunter die Geschichte des philosophischen Denkens bereitstellt und mit dessen Hilfe wir unsere Gegenwart erfassen.

Dialektische Philosophie ist eine Art Topos-Denken: ihr Proprium besteht darin, den ‚Welt-Ort‘ und die ‚Zeit-Stelle‘ (H. H. Holz) des Einzelnen mit Blick auf den Entwicklungszusammenhang eines übergreifenden Ganzen zu bestimmen. Sie bemüht sich, sich selbst zwischen ‚Nicht-Mehr‘ des Vergangenen und ‚Noch-Nicht‘ des Zukünftigen (E. Bloch) zu positionieren, um das Spätere in der Jetztzeit antizipieren zu können. Ihr Selbstbildnis in diesem Gesamtzusammenhang zu sichten und im Fluss historischer Entwicklung nachzuzeichnen, sind ihre Aufgaben. Sie konstituiert somit nicht nur die Bedingungen einer rationellen Orientierung im wissenschaftlichen Denken, sondern spezifiziert auch die begrifflich konkreten Voraussetzungen einer gesellschaftlich wirksamen und politisch zielgerichteten Praxis.

Eine der Methoden, das diesem Zweck entspricht, ist Polemik. Sie konstituiert Diskussionsforen, in denen perspektivische Modelle angeboten werden, deren Haltbarkeit im Fokus des Besonderen in einer übergreifenden Gesamtstruktur getestet wird. Eine perspektivische Vielfalt von konträren oder sogar kontradiktorischen Ansätzen zugunsten der Kongruenz wissenschaftlichen Denkens in ihrer Einheit herauszustellen, ist Sinn und Zweck der dialektischen Philosophie. Neue Fragen zu stellen, neue Probleme zu formulieren und neue Lösungen vorzuschlagen, sind die Tätigkeiten der Zeitschrift Aufhebung und der Gesellschaft für dialektische Philosophie. Wir ermutigen alle unsere LeserInnen, in unserer ‚Denkfabrik‘ mitzumachen, Beiträge zu leisten und an Diskussionen aktiv teilzunehmen.

Das vorliegende Heft eröffnet mit dem zweiten Teil von Ernst Richters Aufsatz zur marxistischen Geschichtsphilosophie. Richter entwirft eine relationale Geschichtsontologie, die die marxistische Kategorie der materiellen Produktionsverhältnisse ins Zentrum der Forschung rückt. Der Problemgegenstand sind die historischen Grundstrukturen der antagonistischen bzw. nicht-antagonistischen Gesellschaften und die ihnen immanenten Negations- und Aufhebungsmechanismen.

Daniel Hohnerlein setzt sein Projekt dialektischer Literaturhermeneutik fort und überprüft am Beispiel Paul Rillas die Frage nach dem Verstehen der Literatur. Der hermeneutische Akt des Verstehens wird in diesem Ansatz in einer Verdopplung des Verstehens des Literatur-Verstehens erweitert und die Grundkriterien literarischen Lesens hinterfragt. Hohnerlein geht davon aus, dass die Kriterien literarischer Hermeneutik explizit gemacht werden müssen, um überhaupt dem Autor, Text und Leser gerecht werden zu können. Er entwickelt somit ein selbstreflexives Problembewusstsein im literarischen Lesen, das nur dann sinnvoll möglich wird, wenn sich das Verstehen im Literatur-Verstehen auf sich selbst bezieht.

Mario Schäbels Paradigmenwechsel reloaded setzt sich mit den Ambivalenzen der Frankfurter Schule kritisch auseinander. Der Aufsatz stellt eine Varietät von Paradigmen heraus (Arbeits-, Produktions- oder Naturparadigmen), die den Charakter der internen Evolution der Kritischen Theorie bestimmen und zum Ausdruck bringen. Schäbel konzentriert sich wesentlich auf Jürgen Habermas’ und Axel Honneths Ablehnung der marxschen Kritik der politischen Ökonomie. Schäbels kritische Exposition des Kritikbegriffs dient dazu, Marx’ theoretischen Korpus der dialektischen Gesellschaftsauffassung wieder einzuverleiben und versucht somit eine ‚neuere‘ Marx-Lektüre für das kritische Denken der Gegenwart fruchtbar zu machen.

Das Heft enthält zwei Diskussionsbeiträge: Marc Püschels und Renate Wahsners Repliken auf Annette Schlemms pessimistisch gestimmte Geschichtsphilosophie. Püschel problematisiert die Geschichtsteleologie, die Schlemm Marx und Engels zuschreibt und die von ihr abgeleitete Schlussfolgerung, die dialektische Geschichtsphilosophie in Frage zu stellen. Wahsner argumentiert, dass Schlemms Ansatz dadurch gefährdet wird, dass sie ihre eigene Interpretation materialistischer Umstülpung Hegels in das Selbstverständnis von Marx und Engels zu projizieren scheint. Die Hoffnung auf eine dialektische Geschichtsphilosophie trägt, so Wahsner, wenn man sie als eine wissenschaftliche Theorie entwickelt, die von gesellschaftlichen Bewegungsgesetzen ausgeht, welche die Theorie auf die Probe stellt.

Der Band schließt mit zwei Rezensionen und einem Bericht. Jörg Zimmer geht ausführlich auf Andreas Domanns Studie Philosophie der Musik nach Karl Marx ein, greift Brechts Theater, Holz’ Ästhetik und Marx’ Konzept der gegenständlichen Tätigkeit auf, um mit Domann über Domann hinaus zu einem dialektischen MusikDenken zu gelangen. Mathias Schmidt rezensiert Didier Eribons Buch Gesellschaft als Urteil, in dem Eribon den Habitus des Arbeitermilieus nachgeht. Ironie und Parodie charakterisieren diese Rezension, da das besprochene Buch die marxistische Analyse der Klassengesellschaft durch ein Amalgam von Konstituierung des sozialen Selbst (Pierre Bourdieu) und Technologien des Selbst (Michel Foucault) zu ersetzen bemüht. Julia Mohrs Bericht fasst den Inhalt des Workshops Dialektik der Natur zusammen, der im Oktober 2018 in Berlin stattfand. Es sei daran erinnert, dass sich der Geburtstag von Friedrich Engels nächstes Jahr zum 200. Mal jährt. Zum Einreichen der Manuskripte sowie für Vorschläge, Anregung und Kritik ist die Redaktion unter redaktion@dialektische-philosophie.org erreichbar. Vergangene Nummer der Aufhebung können über bestellung@dialektische-philosophie.org bezogen werden.

Die Redaktion, Mai 2019